Dienstag, 24. September 2013

Geschichtsträchtige Tessiner Volksabstimmung

Der 22. September 2013 müsste eigentlich in die Geschichte der Schweiz eingehen als der Tag, an dem zum ersten Mal eine Volksabstimmung stattfand über etwas, was es gar nicht gibt. Die ominöse Burka nämlich, über welche die Tessinerinnen und Tessiner an diesem Tag abgestimmt haben und die gemäss einer Mehrheit von 65,4 Prozent der Bevölkerung zukünftig im öffentlichen Raum nicht mehr getragen werden darf, wurde in Tat und Wahrheit auf dem Gebiet des gesamten Kantons noch gar nie gesichtet – ausser bei einer Frau, welche für die besagte Volksinitiative Unterschriften gesammelt und sich zu diesem Zweck als Burkaträgerin verkleidet hatte. Leben wir tatsächlich schon in einer so vollkommenen Welt, dass uns die Probleme in der realen Wirklichkeit ausgegangen sind und sich neue politische Themen nur noch in der Welt des Irrealen und der Fiktionen finden lassen? Oder ist es so, dass sich mit Dingen, die man nicht kennt, viel leichter Angst machen lässt als mit Dingen, die man kennt und die einem daher auch vertraut sind? Dass dem tatsächlich so sein könnte, scheint auf der Hand zu liegen, hat sich doch bei sämtlichen Abstimmungen der vergangenen Jahre, bei denen es um das Zusammenleben zwischen Menschen «einheimischer» und «ausländischer» Herkunft ging, bestätigt, dass der Grad der «Fremdenfeindlichkeit» just in dem Masse zunimmt, als «einheimische» und «ausländische» Menschen nicht etwa mehr, sondern, ganz im Gegenteil, weniger Kontakt zueinander haben. Drum, wer zukünftig Abstimmungen gewinnen und sich damit politisch profilieren möchte, sucht am besten weitere, neue Themen in der Welt des Irrealen und der Fiktion. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Volksinitiative zur Einführung einer Abschussgenehmigung für allfällig im Oberwallis oder im Berner Oberland auftauchende Dinosaurier? Oder mit der Einführung einer unbefristeten und bedingungslosen Verweigerung des schweizerischen Bürgerrechts für Einwanderer aus ausserirdischen Galaxien? Oder mit einem neuen Bundesgesetz über Sicherheitsmassnahmen bei einer Tsunami-Katastrophe?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen