Mittwoch, 24. September 2014

Chance für ein neues Schul- und Bildungssystem

Seit Wochen tobt in der Schweizer Schullandschaft ein regelrechter «Sprachenstreit». Während die einen behaupten, je jünger ein Kind sei, umso leichter könne es eine Fremdsprache erlernen, gelangt eine soeben veröffentlichte Studie des «Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit» in Freiburg zum genau gegenteiligen Schluss: Im Fremdsprachenunterricht hätten ältere Schülerinnen und Schüler einen entscheidenden Vorteil gegenüber jüngeren. Die Alltagserfahrung lehrt uns indessen etwas ganz anderes, nämlich, dass für das Erlernen einer Fremdsprache nicht das Alter entscheidend ist, sondern die Motivation. Es gibt Vier- oder Fünfjährige, die schon zwei oder gar drei Sprachen perfekt beherrschen, wenn durch ihr tägliches mehrsprachiges Umfeld die hierfür notwendige Motivation gegeben ist. Es können sich aber auch noch 70-Jährige, wenn sie das von sich aus unbedingt wollen, ohne weiteres eine oder gar mehrere zusätzliche Fremdsprachen aneignen.
   Der gegenwärtige Sprachenstreit könnte im besten Falle Anlass dazu sein, grundsätzlich über ein neues Schul- und Bildungssystem nachzudenken, in dem nicht mehr sämtlichen Kindern und Jugendlichen ein Einheitslehrplan übergestülpt wird, sondern alle Lernenden möglichst optimale Voraussetzungen zur Entfaltung ihrer individuellen Interessen und Begabungen vorfinden.

Mittwoch, 17. September 2014

Verlogener und zynischer geht es nicht mehr

Der Vorschlag der SVP, dass jede Gemeinde ihre Leistungen für die Sozialhilfe frei und individuell festlegen könnte, würde dazu führen, da sich insbesondere finanzschwache Gemeinden bei der Festlegung ihrer Sozialhilfeansätze voraussichtlich vermehrt gegenseitig unterbieten würden – dies auf Kosten jener Menschen, die sich bereits heute nur das Allernotwendigste leisten können und zukünftig den Gürtel noch enger schnallen müssten. Und dies in einem der reichsten Länder der Welt, in dem sich ein grosser Teil der Bevölkerung nach wie vor Luxusvergnügungen aller Art zu leisten vermag und die Zahl der Millionäre von Jahr zu Jahr ansteigt. Der höchste Grundwert unserer Gesellschaft, nämlich die Solidarität zwischen denen auf der Sonnenseite und denen auf der Schattenseite, gerät immer mehr unter die Räder. Und dies ausgerechnet durch das Treiben jener Partei, die sich bei jeder Gelegenheit auf die schweizerischen Grundwerte beruft. Verlogener und zynischer geht es nun wirklich nicht mehr.

Donnerstag, 11. September 2014

Voller Hoffnung

Poroschenko und Putin reichen sich die Hand. Jens Stoltenberg, ehemaliger Pazifist und NATO-Gegner, wird zum neuen NATO-Generalsekretär gewählt. Die niederländischen Experten, welche die Ursachen des Absturzes einer malaysischen Passagiermaschine über der Ukraine untersuchen, stellen fest, dass sie noch keine schlüssigen Beweise dafür hätten, von welcher der beiden Konfliktparteien das Flugzeug getroffen worden sei. Didier Burkhalter, Schweizer Bundesrat und Vorsitzender der OSZE, bleibt dabei: Weitere Sanktionen gegen Russland seien ungerechtfertigt und in Bezug auf eine Lösung des Konflikts kontraproduktiv. Die gleiche Meinung vertritt der österreichische Bundeskanzler Faymann.
   Ich beginne zu träumen. Nähern wir uns doch noch jener Zeitenwende, an die wir schon fast nicht mehr zu glauben wagten? Könnte es sein, dass eines Tages einfach zu viele friedfertige Menschen an allen Ecken und Enden der politischen und gesellschaftlichen Machtgebilde in den Startlöchern stehen, damit jenen anderen, machtbesessenen, welche noch die obersten Positionen besetzen, mit der Zeit gar nichts mehr anderes übrigbleibt, als das Feld zu räumen? Auf dass die Generäle ihre Armeen abschaffen und die Regierungen quer über alle Länder jeglichen Missbrauch von Macht und Gewalt auf Kosten anderer für immer Vergessenheit sein lassen?
   Vielleicht genügt es ja, wenn all jene, die bis jetzt bloss mit Abscheu zugeschaut haben und die «Dreckgeschäfte» der Mächtigen, mit denen sie nichts zu tun haben wollten, bloss anderen überlassen haben, nun selber überall, wo sich Gelegenheit bietet, im Kleinen wie im Grossen, einsteigen, um alles mehr und mehr zum Guten zu wenden? Vielleicht muss man ja nur genug fest daran glauben, damit das Unvorstellbare vorstellbar wird, um eine neue Welt aufzubauen, bevor die alte untergeht.

Samstag, 16. August 2014

Mischen wir uns ein!

Dient der russische Konvoi aus 290 Lastwagen reinen Propagandazwecken oder als Deckmantel für eine militärische Intervention oder handelt es sich tatsächlich nur um eine ernst gemeinte Nothilfe für die notleidende Bevölkerung der ostukrainischen Städte Lugansk und Donezk? Wurde das malaysische Passagierflugzeug MH17 von russischen Separatisten oder von der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen? Waren die Maidan-Demonstrationen in Kiew, mit denen alles anfing, von Anfang an von westlichen Geheimdiensten infiltriert oder handelte es sich um eine ausschliesslich innerukrainische Auseinandersetzung zwischen Regimebefürwortern und Regimegegnern?
   Je nachdem, welcher der beiden Konfliktparteien, welchen Medien und welchen Politikern man mehr Glauben schenkt, werden die Antworten auf diese und viele weitere Fragen rund um die «Ukraine-Krise» höchst unterschiedlich, ja geradezu gegensätzlich ausfallen. Selbst wenn es noch so etwas wie Wahrheit gibt, ist diese im gegenseitigen Getöse von Behauptungen, Vorwürfen und Mutmassungen immer schwieriger auszumachen.
   Das Einzige, was wir mit Bestimmtheit wissen, ist, dass weit über tausend Zivilpersonen in diesem Konflikt bereits ihr Leben verloren haben; dass in den beiden Städten Lugansk und Donezk Hunderttausende von Männern, Frauen und Kindern eingekesselt sind, seit bald zwei Wochen weder über Strom noch über Wasser verfügen und in ständiger Todesangst leben; dass unter den gegenseitig ausgesprochenen Sanktionen westlicher Regierungen und Russlands wiederum Millionen unschuldiger Menschen in den betroffenen Ländern zu leiden haben werden und dass sich dieser Konflikt im allerschlimmsten Falle zu einem weit über den jetzigen Krisenherd hinausgehenden Flächenbrand ausdehnen könnte.
   Selbst der frühere US-amerikanische Sicherheitsberater und Aussenminister Henry Kissinger vertrat ganz zu Beginn dieses Konflikts die Meinung, die Ukraine täte gut daran, einen sowohl von der EU wie auch von Russland möglichst unabhängigen, eigenständigen Weg zu gehen, sich keinem der beiden Machtblöcke anzunähern, aber mit jedem wechselseitig gute Beziehungen zu pflegen, um auf diese Weise sogar zu einer Art Vorbild zu werden für ein zukünftiges, offenes, friedliches und blockfreies Europa. Leider sind solche Stimmen der Vernunft im Laufe der vergangenen Wochen immer seltener zu hören gewesen. Stattdessen ist die Spirale gegenseitiger Eskalation weiter und weiter in die Höhe getrieben worden und führt je länger je mehr zu einer Situation, in der es am Ende keine Sieger, sondern auf beiden Seiten nur Verlierer geben kann.
   Es ist Zeit, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und in die Zukunft zu blicken. Egal, wer angefangen hat, egal, welches die «Guten» und welches die «Schlechten» sind, es gibt nur einen Weg, der sinnvoll ist: weg von Gewalt und Zerstörung hin zu Gewaltlosigkeit und Frieden. Seit Ende Juni kommt es in verschiedensten Regionen der Ukraine immer wieder zu Demonstrationen und Protestaktionen gegen den Krieg, an denen sich vor allem Frauen beteiligen. Im südukrainischen Melitopol protestierten aufgebrachte Frauen gegen die Einberufung ihrer Söhne zum Militär und kletterten auf Armeefahrzeuge. In Nikolajew blockierten Frauen und Mütter von Soldaten acht Stunden lang eine Brücke. Besonders stark ist die Protestwelle gegen den Krieg im Gebiet Transkarpatien, wo ein besonders buntes Völkergemisch lebt.
   Lassen wir die Menschen, die in der Ukraine mit grossem Mut an vorderster Front gegen den Krieg und für den Frieden kämpfen, nicht allein. Nehmen wir sie zu unserem Vorbild. Gehen wir millionenfach auf die Strassen, nicht mit US-amerikanischen, nicht mit EU-, nicht mit ukrainischen und nicht mit russischen Flaggen, sondern mit den Flaggen des Friedens. Kriege sind nicht Naturkatastrophen, die ohne unser Zutun über uns kommen. Kriege werden von Menschen gemacht. Sie werden von Menschen ermöglicht. Sie werden von Menschen geschürt. Aber sie können auch von Menschen verhindert oder beendet werden.
   Es macht zweifellos einen Unterschied, ob 700 Millionen Menschen – so viele nämlich leben in Europa und es gibt wohl nur ganz Vereinzelte unter ihnen, die den Krieg dem Frieden vorziehen – ihre Stimme erheben, kritische Fragen stellen, Briefe und Pamphlete schreiben, nicht locker lassen, bis Frieden ist – oder ob sie sich in Schweigen hüllen und bloss ihren täglichen Beschäftigungen und Vergnügungen nachgehen. Gleichgültigkeit kann tödlich sein. So viel mindestens sollten wir in den hundert Jahren seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelernt haben. Noch ist es nicht zu spät. Machen wir uns ans Werk.

Samstag, 19. Juli 2014

Fataler Rückfall in alte Denkmuster

«Würde in der Ukraine Frieden herrschen, wäre die Tragödie nicht passiert» - dieser Kommentar des russischen Präsidenten Putin zum Absturz einer malaysischen Passagiermaschine mit 298 Todesopfern wird von westlichen Politikern und Kommentatoren als «zynisch» bezeichnet. Aber hat Putin damit nicht im Grunde genommen Recht? Nicht der Flugzeugabsturz ist das eigentliche Hauptproblem, sondern der Krieg als solcher. Und da ist jeder Toter ein Toter zu viel, egal, ob es ein holländischer Flugreisender, ein Soldat der ukrainischen Armee oder ein Kind irgendwo in der Ostukraine ist, welches zwischen die Schusslinien von Separatisten und Regierungssoldaten geraten ist. Die Empörung, die sich jetzt weltweit über den Absturz eines Passagierflugzeugs erhebt, müsste eigentlich eine Empörung sein über diesen Krieg. Den Absturz dieses Flugzeugs zum Anlass zu nehmen, um gegen Russland noch mehr politischen und wirtschaftlichen Druck aufzubauen, ist so ziemlich das Dümmste, was westliche Regierungen tun könnten. Vielmehr müsste alles daran gesetzt werden, diesen Konflikt so rasch wie möglich zu beenden, um weiteres sinnloses Blutvergiessen zu verhindern. Dies kann aber nur gelingen durch eine endgültige Absage an gegenseitige Schuldzuweisungen und eine Rückkehr zu Diplomatie und Deeskalation, wie sie nicht zuletzt von Bundesrat Didier Burkhalter, dem Vorsitzenden der OSZE, seit Beginn dieses Konflikts in vorbildlicher Weise gefordert wird.

Donnerstag, 17. Juli 2014

Armut ein komplexes Problem?

Armut sei ein komplexes Problem, schreibt Redaktor Richard Clavadetscher im «St. Galler Tagblatt» vom 16. Juli 2014 in Anbetracht von 590‘000 Armutsbetroffenen in unserem Land. Als Ursache für die Armut nennt er unter anderem die Wegrationalisierung von Jobs mit «einfachen» Anforderungen und schlägt dann als mögliches Mittel gegen die Armut die Frühförderung vor, damit «in Armut aufwachsende Kinder mehr Chancen bekommen sollen, um durch ansprechende schulische Leistungen später im Berufsleben zu reüssieren und so den prekären Lebensverhältnissen zu entkommen.»
    Wenn es doch so einfach wäre, die Armut aus der Welt zu schaffen! Doch Frühforderung wird kaum zum Verschwinden der Armut führen, sondern höchstens dazu, dass sich die «frühgeförderten» Kinder im schulischen Konkurrenzkampf um gute Noten und Berufschancen mit noch härteren Bandagen als bisher gegenseitig bekämpfen müssen. Zwar wird vielleicht das eine oder andere Kind mithilfe von Frühforderung etwas bessere schulische Leistungen erzielen, dies aber nur auf Kosten anderer Kinder, deren Chancen sich dadurch mindern. Weder an der Anzahl insgesamt vorhandener Ausbildungs- und Arbeitsplätze, noch am herrschenden Lohngefüge wird sich dadurch auch nur das Geringste ändern.
   Auch der Feststellung, Armut sei «ein komplexes Problem», ist zu widersprechen. Tatsache ist nämlich, dass Armut ein sehr einfaches Problem ist – vorausgesetzt, man spricht über deren tatsächliche Ursachen. Und diese liegen schlicht und einfach in der Natur des kapitalistischen Geld- und Wirtschaftssystems, in welchem auf hunderterlei verschlungenen Wegen unsichtbar Tag für Tag, Minute für Minute das Geld aus den Taschen der Armen in die Taschen der Reichen fliesst, von denen, die trotz härtester Arbeit immer weniger verdienen, zu denen, deren einzige «Leistung» darin besteht, möglichst viel zu besitzen oder aber einen Job auszuüben, in dem man aus unerfindlichen Gründen zwanzig oder dreissig Mal mehr verdient als in anderen Jobs, die aber für das Funktionieren der Wirtschaft und der gesamten Gesellschaft kein bisschen weniger wichtig sind. Die 590‘000 Armutsbetroffenen und die insgesamt 330‘000 Dollarmillionäre, welche zur Zeit in der Schweiz leben, sind daher nichts anderes als die beiden Kehrseiten der gleichen kapitalistischen Münze.
   Deshalb kann man die Armut nur wirksam bekämpfen, wenn man gleichzeitig auch den Reichtum bekämpft und das gestohlene Geld, das aus den Taschen der Armen in den Taschen der Reichen verschwunden ist, wieder zurückholt. Dies geht weder mit Frühförderung noch sonst irgendeinem Wundermittel, das schon vor 20 oder 30 Jahren gepredigt wurde und mit dem man uns bloss immer wieder Sand in die Augen gestreut hat, ohne dass damit auch nur ansatzweise verhindert werden konnte, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer noch weiter und weiter geöffnet hat. Lösen lässt sich das Problem einzig und allein durch den Aufbau einer von Grund auf neuen, nichtkapitalistischen Geld- und Wirtschaftsordnung, die nicht mehr auf Ausbeutung, sondern auf Gerechtigkeit beruht. So einfach ist das. Man muss es nur wissen.

Dienstag, 1. Juli 2014

Was ist Krieg und was ist Frieden?

Wir sprechen vom Frieden. Und wir sprechen vom Krieg.
   Doch was ist eigentlich Frieden? Und was ist eigentlich Krieg?
   Ist Krieg nur, wenn Menschen aufeinander schiessen und Armeen mit Raketen und Panzern aufeinander losgehen? Das würde dann bedeuten, dass überall dort, wo Menschen oder Armeen sich nicht mit Hilfe von Waffen gegenseitig umbringen, Frieden herrscht.
   Ich denke, dass dies ein sehr einseitiges, trügerisches, ja sogar falsches Verständnis von Frieden wäre. Denn Krieg ist viel mehr als bloss das, was man normalerweise darunter versteht. Man kann Menschen oder sogar ganze Völker und halbe Kontinente nämlich auch töten, ohne dass man einen einzigen Schuss abgibt. Und das soll dann nicht Krieg sein?
   Man hat uns manipuliert. Man hat uns einzureden versucht, ein Krieg beginne erst dann, wenn ein erster Schuss fällt oder wenn ein Staat einem anderen offiziell einen Krieg erklärt oder wenn die Armee des einen Landes auf das Gebiet eines anderen vordringt.
   Doch das ist nicht die Wahrheit. Kriege kann man auch so führen, dass man meint, es sei Frieden.
   Krieg ist auch, wenn jeden Tag weltweit rund 10‘000 Kinder infolge mangelnder Ernährung sterben, während wir hier in Europa uns den Luxus leisten können, einen Drittel sämtlicher Lebensmittel in den Müll zu werfen. Krieg ist auch, wenn an Europas südlichen und östlichen Grenzen immer höhere Mauern und Zäune aufgebaut werden, um die wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Elends- und Kriegsgebieten abzuwehren und damit ihre letzte Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben zu zerstören. Krieg ist auch, wenn multinationale Konzerne in Äthiopien, Kenia, Mali oder Zentralafrika immer grössere Flächen an Land aufkaufen, um dort, wo vorher die Grundnahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung produziert wurde, Biodiesel für die Mobilitäts- und Luxusvergnügen der Menschen in den reichen und reichsten Ländern zu gewinnen. Krieg ist auch, wenn das Vermögen der Reichsten der Welt allein im vergangenen Jahr wieder um 52‘620 Milliarden Dollar zugenommen hat, während gleichzeitig die UNO für ihre Hilfsprogramme an die von einer schweren Dürrekatastrophe betroffene Bevölkerung Somalias erst gerade mal 80 von 566 benötigten Millionen Dollar zusammengebracht hat, also rund 70‘000 Mal weniger als der weltweite Zuwachs des Reichtums der Reichsten innerhalb eines einziges Jahres. Krieg ist auch, wenn, bloss um eine immer grössere Menge an sinnlosen und überflüssigen Dingen zu produzieren, innerhalb weniger Jahrzehnte Bodenschätze aufgebraucht und natürliche Ressourcen in einem so gigantischen Ausmass verschwendet werden, dass das zukünftige Überleben der Menschheit auf diesem Planeten mehr und mehr in Frage gestellt wird.
   Krieg herrscht aber auch hierzulande. Krieg ist nämlich auch, wenn Menschen, ohne dafür arbeiten zu müssen, dennoch 100 oder 200 mal höhere Einkommen haben als andere, die sich Tag für Tag auf Kosten ihrer Gesundheit abrackern und dennoch nicht einmal genug verdienen, um einigermassen anständig leben zu können. Krieg ist auch, wenn Menschen aus ihren Wohnungen geschmissen werden, wo sie 20 oder 30 Jahre lang gelebt haben, bloss weil sie die steigenden Mietpreise nicht mehr bezahlen können. Krieg ist auch, wenn sich eine Minderheit von Reichen immer verrücktere und ausgefallenere Luxusvergnügen leisten können, während dem Rest der Bevölkerung immer grössere Einschränkungen, immer mehr Verzicht und immer grössere finanzielle Belastungen aufgebürdet werden.
   Ja, eigentlich herrscht Krieg immer dann, wenn einem Menschen, einer Gruppe von Menschen, einem Volk oder einem Land Leid, Ungerechtigkeit und Zerstörung zugefügt wird, bloss weil andere, die mächtiger sind, ihre eigenen habgierigen, egoistischen, machtbesessenen Interessen durchzusetzen vermögen. Denn letztlich kommt es für eine Bauernfamilie irgendwo in Afrika oder Lateinamerika nicht darauf an, ob sie mit Gewehrschüssen von ihrem Land vertrieben wird oder ob ihr Land von einem multinationalen Konzern aufgekauft wird und sie dadurch ins Elend stürzt, das Ergebnis ist genau das Gleiche. Die Kriege, die von den Reichen und Mächtigen gegen die Armen und Machtlosen geführt werden, können auf Waffen traditioneller Art verzichten, denn sie haben viel raffiniertere und zugleich viel gefährlichere und viel wirkungsvollere Waffen, um ihre Interessen durchzusetzen.
   Und damit sind wir einmal mehr bei unserem herrschenden Geld- und Wirtschaftssystem angelangt. Ja, das Geld in den Händen der Reichen und Reichsten ist die eigentliche Hauptwaffe, mit der die heutigen scheinbar so friedlichen, scheinbar so gewaltlosen, tatsächlich aber so grausamen und zerstörerischen Kriege geführt werden.
   Und wenn wir beim Geld sind, dann sind wir auch bei der Schweiz, diesem scheinbar so friedlichen Land, das sich aber, Hand in Hand mit den Reichen und Reichsten der Welt, den Börsenhändlern, den Rohstoffspekulanten, den Kriegsgewinnlern, den multinationalen Lebensmittel- und Pharmakonzernen, den Gold-, Diamanten- und Erdölhändlern an allervorderster Front befindet, wenn es darum geht, die Interessen der Mächtigen auf Kosten der Machtlosen gnadenlos durchzusetzen. Oder aus welchen anderen Gründen sollte denn ausgerechnet die Schweiz, dieses karge, an Bodenschätzen so arme Land, das reichste Land der Welt sein? Alles bloss, weil wir so menschenfreundlich und so friedliebend sind? Wohl kaum.
   Wenn wir beim Geld sind, dann sind wir zwangsläufig natürlich auch beim Kapitalismus, diesem vermeintlich so friedlichen Geld- und Wirtschaftssystem, das in Tat und Wahrheit aber nichts anderes ist als ein globaler Kriegszug. Ein globaler Kriegszug der Reichen gegen die Armen, ein globaler Kriegszug gegen die Natur, ein globaler Kriegszug gegen zukünftige Generationen.
    Es gibt keinen friedlichen Kapitalismus, ebenso wenig wie es einen friedlichen Krieg geben kann. Kapitalismus ist Krieg. Und erst die Überwindung des Kapitalismus mit allen von ihm verursachten Ungerechtigkeiten kann das schaffen, was man tatsächlich als Frieden bezeichnen könnte, Frieden unter den Menschen, Frieden mit der Natur, Frieden mit der Zukunft. Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit.
   Zum Abschluss noch ein kurzer Ausschnitt aus meinem Buch ZEIT FÜR EINE ANDERE WELT:
«Die grösste Hoffnung, dass der Beginn dieses neuen, nachkapitalistischen Zeitalters nicht reines Wunschdenken bleiben muss, sondern schon bald Wirklichkeit werden kann, gibt uns eine Jugend, die sich weltweit immer lauter und drängender zu Wort meldet. Es ist der Kampf des Lebens gegen die Normen, gegen die Gewohnheiten und gegen die Lügen des Alltags. Ein immer rasenderes Suchen nach etwas, ohne es noch ganz gefunden zu haben. Das tiefe Spüren, dass diese Welt, so kalt, so materialistisch, so ungerecht, nicht jene Welt sein kann, von der wir alle im Augenblick unserer Geburt einmal geträumt hatten. Wie eine Raupe, die zum Schmetterling wird. Wie eine Zwiebel, die sich häutet. Mitten in der alten Zeit entsteht eine neue Zeit.»

(Rede anlässlich der Montags-Friedensmahnwache vom 30. Juni 2014 in Zürich CH)