Montag, 12. Mai 2014

Sie hat einen Traum

Sie hat einen Traum aber jetzt ist es besser nicht zu viele Gedanken daran zu verlieren denn drei Stühle weiter hinten wartet schon die nächste Kundin die erste kam fünf Minuten zu spät die zweite fünf Minuten zu früh und jetzt spürt sie schon ohne hinzusehen messerscharf ungeduldige und vorwurfsvolle Blicke von allen Seiten während die erste Kundin noch immer nicht ganz zufrieden ist und das Telefon klingelt und die Lehrtochter um Rat bittet weil sie bei einer dritten Kundin soeben das falsche Färbemittel erwischte.
   Sie hat einen Traum und in diesem Traum erscheint ihr Name im Abspann eines Hollywoodfilms ihr winziger unscheinbarer Name fast zuletzt wenn alle berühmten und grossen Namen schon längst vorüber sind und das Publikum den schon wieder hell erleuchteten Saal verlassen hat während sie noch ganz alleine in ihrem Stuhl sitzt und darauf wartet Vanessa Gladys Veronica Tamara und wie sie alle heissen wie wenn sie sie alle kennen würde in ihren Salons voller Spiegel weit hinter den Kulissen wo sie bis in den frühen Morgen den Gesichtern der grossen Stars hautnah verführerischen Glanz verleihen betörendes Funkeln in smaragdenen Augen bläulich schimmernde Blässe im Angesicht nahenden Todes zwei Tränen die wie kristallene Perlen über eine Wange gleiten auf Abertausenden Leinwänden rund um den ganzen Globus.
   Sie hat einen Traum aber am Ende des Tages stecken ihre Füsse Mal um Mal noch ein klein wenig tiefer im Boden und auch die Haut an den Fingern wächst nicht annähernd so schnell wieder nach wie sie ätzend rot über den Tag abgeblättert war Sommerferien wird es dieses Jahr keine geben noch mehr Kundinnen zu verlieren liegt nicht drin diesen Vorwurf ob es denn neuerdings Mode sei blau zu machen an einem Samstagnachmittag um fünf will sie nie mehr nie mehr wieder hören lieber arbeiten bis zum Umfallen die Kundin ist Königin und alles andere kannst du vergessen besonders wenn der Sommer vor der Tür steht und die grossen Kreuzfahrten beginnen und jede noch schöner sein will als die andere und sie dann zwei drei Wochen später wieder nach Hause kommen und du einfach lächelnd dazustehen hast als hättest du die ganze harte heisse Zeit voller Arbeit nichts anderes getan als auf sie zu warten und auf ihre Geschichten aus tausend und einer Nacht bis dir der Kopf zerplatzt.
   Sie hat einen Traum und in diesem Traum lässt sie ihre geschwollenen Beine über die Reling eines schneeweissen Schiffes ins kühlende Wasser baumeln Flugzeuge erheben sich gleich riesigen Vögeln nach allen Seiten doch wenn sie am Ende des Tages alles zusammenrechnet zerrinnt auch der allerletzte winzige Traum zwischen ihren rissigen Fingern die vor so kurzer Zeit noch so schön waren und auch die Füsse und auch der Rücken und auch der Kopf der bis spät in die Nacht nicht zur Ruhe kommen wird weshalb stand noch auf keinem einzigen jener Riesenplakate inmitten der grössten Städte der Welt auch nur je ein einziger Name all jener Millionen von Frauen die von frühmorgens bis spät in der Nacht Haarspitzen drehen Kleider und Schuhe nähen giftigen Dämpfen ausgesetzt Farben und Schönheitsmittel mischen Böden schrubben bis sie ihre Rücken und ihre Beine nicht mehr spüren und weshalb bekommt die Friseuse kein Geld für all das Lachen und all die Aufmerksamkeit und all die Bewunderung die sie Tag für Tag an ihre Kundinnen verschenkt und weshalb kein Schmerzensgeld für all die gestohlenen verlorenen und vergessenen Träume.

Mittwoch, 7. Mai 2014

Man will uns Angst machen

Wieder einmal versucht man, ein wichtiges sozialpolitisches Anliegen mit Angstmacherei zu bekämpfen. Die Einführung eines allgemein verbindlichen gesetzlichen Mindestlohns führe zu einer höheren Arbeitslosigkeit und zu einer Schwächung der Schweizer Wirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz, wird behauptet. Mit den genau gleichen Argumenten wurde schon gegen die Einführung der AHV, gegen die Abschaffung von Kinder- und Sonntagsarbeit und gegen die Einführung der 5-Tage-Woche gekämpft. Trotzdem sind diese Forderungen heute alle verwirklicht. Ist die Schweizer Wirtschaft deswegen zusammengebrochen? Natürlich nicht, ganz im Gegenteil…
   Tatsache ist, dass heute 330‘000 Menschen in der Schweiz trotz voller Erwerbstätigkeit nicht genug verdienen, um einen minimalen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Und das im reichsten Land der Welt! Am 18. Mai stimmen wir nicht über einen Luxuslohn ab, sondern nur darüber, dass alle in der Schweiz Erwerbstätigen mindestens 22 Franken pro Stunde verdienen sollen. Bescheidener geht es nun wirklich nicht. Stimmen wir daher am 18. Mai der Mindestlohninitiative zu und setzen damit diesem unwürdigen Zustand und der Respektlosigkeit gegenüber Hunderttausenden hart arbeitenden und dennoch Armut leidenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein Ende!
(Dieser Abstimmungsaufruf wurde auch von der Buchser «Bärenrunde», einer offenen Gesprächsplattform für wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zukunftsfragen, veröffentlicht. www.bärenrunde.ch)

Donnerstag, 1. Mai 2014

Ich wünschte mir...

Nun endlich wissen wir es: Dass Frauen in vergleichbaren Jobs rund 19 Prozent weniger verdienen als Männer, hat nichts mit Benachteiligung oder Diskriminierung zu tun, sondern ist einzig und allein eine Folge der «inneren Einstellung der Frauen», die «nicht bereit sind, höhere Anstrengungen im Beruf auf sich zu nehmen». So jedenfalls die Meinung des schweizerischen Arbeitgeberpräsidenten Roland Müller, kundgetan anlässlich einer Pressekonferenz im Bundeshaus vergangenen Montag. Eine Aussage, die sich an Arroganz und Abgehobenheit wohl kaum mehr überbieten lässt.
   Ich wünschte mir, Herr Müller würde nur wenigstens eine Woche lang jene Arbeit verrichten, die von Serviceangestellten, Zimmermädchen in Luxushotels, Callcenter-Mitarbeiterinnen, Coiffeusen, Verkäuferinnen in Schuh- und Modegeschäften, Putzfrauen und Hilfspflegerinnen in Altersheimen Tag für Tag, über Jahre hinweg, geleistet wird. Und dass er dann ebenso, wie Hunderttausende dieser Frauen, jeden Abend todmüde ins Bett fallen würde, mit Füssen voller Blasen, schmerzenden Armen und Beinen, einem krumm gearbeiteten Rücken und den Kopf immer noch voller Befehle, Zurechtweisungen, Reklamationen und Vorwürfe, mit denen man durch den Arbeitstag gehetzt wurde. Und dass er dann ebenso wie so viele dieser Frauen, obwohl er so hart gearbeitet hätte, zu alledem zusätzlich noch von finanziellen Sorgen geplagt wäre und regelmässig gegen Monatsende feststellen müsste, dass das noch vorhandene Haushaltsgelds nicht einmal mehr für das Allernotwendigste ausreicht…
   Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Müller, wenn er dies alles erlebt hätte, auch weiterhin noch solchen Unsinn verbreiten könnte.