Mittwoch, 30. Oktober 2013

Eine Ablenkung vom Hauptproblem?

Die 1:12-Initiative ist ja sehr sympathisch. Aber wir sollten nicht nur über jene 4400 «Abzocker» diskutieren, die von einer Reduktion der Lohnschere auf 1 zu 12 unmittelbar betroffen wären. Wir sollten vor allem über den Kapitalismus diskutieren, seine immer deutlicher sichtbaren inneren Widersprüche, seine immer drastischere Ausmasse annehmende Zerstörungskraft. Wir sollten über den Irrglauben eines immerwährenden Wachstums diskutieren, das uns früher oder später in eine Selbstvernichtung der gesamten Menschheit führen wird. Wir sollten darüber diskutieren, dass nicht nur diese 4400 Topmanager «Abzocker» sind, sondern wir alle «Abzocker» sind gegenüber dem «Rest» der Welt. So gesehen ist die 1:12-Initiative zwar eine gute Sache, zugleich aber doch leider auch eine Ablenkung vom eigentlichen Hauptproblem. Thomas Schwendener hat eben schon recht, wenn er im «Vorwärts» vom 25. Oktober 2013 schreibt: «Ob die Initiative nun angenommen oder verworfen wird, es wird alles beim Alten bleiben. Es mag kleine Umschichtungen geben, da und dort eine Erhöhung der Löhne oder eine Firmenpleite. Aber das Fundament lässt man bestehen.»

Sonntag, 27. Oktober 2013

Zeichen und Wunder

Da geschehen ja schon Zeichen und Wunder: Volksinitiativen werden umgesetzt, noch bevor über sie abgestimmt worden ist...

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Kapitalismus schon bald überwunden?

Unglaublich, wie unsere politischen und wirtschaftlichen Machtträger ins Geifern und Schwitzen geraten, bloss weil man ein paar so harmlose und selbstverständliche Dinge fordert wie einen existenzsichernden Mindestlohn oder eine maximale Lohnschere von 1 zu 12. Es gehe dabei doch um nichts anderes als «die Unternehmer zu entmündigen und unter staatliche Aufsicht zu stellen» und auf diese Weise «den Kapitalismus zu überwinden» - so wortwörtlich der freisinnige Bündner Ständerat Martin Schmid in der «Südostschweiz» vom 10. Oktober 2013. Wie schön, wenn es tatsächlich so einfach wäre, den Kapitalismus zu überwinden!

Späte Einsicht

Ausgerechnet im Jahr ihres vielgefeierten 125jährigen Bestehens hat die schweizerische Sozialdemokratie wohl eines der unrühmlichsten Kapitel ihrer Parteigeschichte geschrieben. Offensichtlich weit mehr darauf bedacht, ihren «Regierungspartnern» nicht auf die Füsse zu treten statt sich in aller Klarheit und Deutlichkeit für die Bewahrung humanitärer Traditionen unseres Landes auszusprechen, ist SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga in ihrer Funktion als Justizministerin zur wichtigsten Wortführerin jener Asylgesetzverschärfungen geworden, denen das Schweizer Volk am 9. Juni 2013 schliesslich mit einer Mehrheit von 78,5 Prozent zugestimmt hat und die unter anderem zur Abschaffung des Botschaftsasyls geführt haben, dank dem verfolgte und Schutz suchende Menschen bisher in ihrem jeweiligen Herkunftsland auf einer Schweizer Botschaft ein Asylgesuch stellen konnten und dadurch nicht gezwungen waren, gefährliche Fluchtwege durch Kriegsgebiete oder übers Meer auf sich zu nehmen. Dass sich die SP nicht einmal zur Ergreifung des Referendums gegen diese Asylgesetzrevision durchringen konnte, dass die Zustimmung zu dieser Gesetzesvorlage und damit auch zur Abschaffung des Botschaftsasyls mit über 78 Prozent dermassen hoch ausfiel und dass, wie eine entsprechende Umfrage ergeben hat, sogar traditionell SP-Wählende zu 54 Prozent dieser Vorlage zustimmten – dies alles wäre wohl kaum möglich gewesen, wenn die gleiche Gesetzesvorlage von einer «bürgerlichen» Bundesrätin vertreten worden wäre oder wenn Bundesrätin Sommaruga Klartext gesprochen hätte, statt sich ängstlich hinter dem so genannten «Kollegialitätsprinzip» zu verstecken. Es klingt schon mehr als zynisch, wenn Simonetta Sommaruga nun plötzlich – angesichts der immer dramatischere Ausmasse annehmenden Flüchtlingstragödie vor den Küsten Siziliens und Lampedusas – in einem Gespräch mit Radio SRF einräumt, die Wiedereinführung des Botschaftsasyls wäre, um das Flüchtlingsproblem zu lindern, allenfalls «eine Überlegung wert». Wie wenn sie das alles nicht schon vorher gewusst hätte und wie wenn nicht in den vergangenen zwanzig Jahren bereits rund 20‘000 Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ihr Leben verloren hätten!
   Ist das der Preis, den die Sozialdemokratie für ihre Beteiligung an der Regierungsmacht zu bezahlen hat? Wenn dem so wäre und das weiterhin so bliebe, dann wäre am 125jährigen Jubiläumsfest der SPS nicht allzu viel zu feiern gewesen…

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Was ist Arbeit?

Wenn du ein Kind, dessen Mutter den Haushalt besorgt und keiner ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehst, fragst: «Was arbeitet deine Mutter?», wirst du mit allergrösster Wahrscheinlichkeit zur Antwort bekommen: «Nichts. Sie macht nur den Haushalt.» Diese doch ziemlich willkürliche und einseitige Auffassung und Definition dessen, was Arbeit ist und was nicht, finden wir aber nicht nur in den Köpfen von Kindern «nichtberufstätiger» Mütter oder Väter, sondern, wie ich bei der Lektüre des heutigen «Tages-Anzeigers» feststellen konnte, selbst bei akademisch gebildeten und wissenschaftlich tätigen Fachpersonen, von denen man eigentlich eine etwas differenziertere Sichtweise erwarten würde. Da äussert sich doch François Höpflinger, Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich mit dem Schwerpunkt Familien-, Alters- und Generationenfragen, zur Frage nach der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Karrierechancen wie folgt: «Selbstbewusste Frauen sehen die Mutterschaft nicht als Hindernis für ihre Berufschancen, sondern als eine Phase im Leben, die es auszukosten gilt. Arbeiten können sie später noch genug.»
   Wäre es angesichts solcher Bilder in unseren Köpfen nicht höchste Zeit, Sinn und Wert von Arbeit bzw. «Nichtarbeit» einmal ganz grundsätzlich zu hinterfragen und allenfalls neu zu definieren? Es kann ja wohl unmöglich der Weisheit letzter Schluss sein, jede noch so absurde und sinnlose Art von Arbeit wie etwa – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen – das Hin- und Herschieben irgendwelcher Protokolle und Formulare zwischen verschiedenen Abteilungen einer Firma, das gegenseitige Abwerben von Kundschaft durch Telefonate und Werbebriefe oder das Aufstapeln einer Unmenge an Waren und Produkten, von denen man schon von Anfang an wissen müsste, dass sie eh niemand kaufen wird, nur deshalb als «echte» Arbeit zu bezeichnen, weil man damit Geld verdienen kann. Während eine gesamtgesellschaftlich gesehen so elementare, wichtige und letztlich unerlässliche Arbeit wie die einer Mutter, eines Vaters, einer Hausfrau oder eines Hausmanns nur deshalb nicht als Arbeit wahrgenommen wird, weil sie zum Nulltarif geleistet wird.

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Der Staat als «Bösewicht»


«Lohndiktat vom Staat?» - mit diesem Slogan wollen uns die Gegner der 1:12-Initiative weismachen, dass eine gesetzliche Beschränkung der maximalen Lohnschere zwischen Tiefst- und Höchsteinkommen so etwas wäre wie ein unnötiger, unzulässiger, schädlicher und deshalb unbedingt zu bekämpfender Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen und der Wirtschaft. Dabei aber wird gänzlich ausgeklammert, dass unsere Löhne schon längstens von einer viel höheren und viel stärkeren Macht bestimmt werden, als es der Staat jemals gewesen ist. Diese Macht ist der so genannte «Freie Markt», der das einzelne Unternehmen dazu zwingt, mit möglichst geringen Lohnkosten eine möglichst hohe Rendite zu erzielen, um sich im gegenseitigen Konkurrenzkampf mit anderen Unternehmen behaupten zu können. Aber es ist eben viel einfacher, den Staat als «Bösewicht» hinzustellen, weil man sich - mit den Politikern, den Gesetzen, den Steuern, usw. - darunter etwas ganz Konkretes vorstellen kann, während der «Freie Markt» ein unsichtbares und viel weniger konkretes Machtgebilde darstellt, das sich - im Gegensatz zu den vom Volk gewählten Politikerinnen und Politikern - erst noch jeglicher demokratischer Kontrolle entzieht. Dass diejenigen, welche das «Lohndiktat vom Staat» bekämpfen, nicht mit der gleichen Vehemenz auch das ungleich viel schlimmere «Lohndiktat vom Freien Markt» bekämpfen, ist der beste Beweis dafür, dass es ihnen eben nicht so sehr um das Wohl der arbeitenden Menschen geht, sondern weit mehr darum, dass sich an den bisherigen Rahmenbedingungen einer «freien» Wirtschaftsordnung, die ein immer grösseres Auseinanderdriften zwischen schlecht bezahlter Arbeit auf den untersten Etagen und exorbitanter Gewinnanhäufung auf den obersten Etagen der gesellschaftlichen Machtpyramide zur Folge hat, möglichst nichts ändert.

Freitag, 4. Oktober 2013

Die Macht der Gewohnheit

Wie sich doch die Zeiten ändern. Und wie doch das Absurdeste und «Abnormalste», was man sich vorstellen kann, dennoch mit der Zeit zum «Normalen» wird, wenn man sich nur über genug lange Zeit hinweg daran gewöhnt hat. Hätte nämlich jemand vor 20 oder 30 Jahren behauptet, in der Schweiz würde je einmal jemand zwölfmal mehr verdienen als ein anderer, hätte man ihn vermutlich für verrückt erklärt. Heute erklärt man jene für verrückt, die bloss das gesetzlich festschreiben möchten, was eben noch undenkbar gewesen wäre. Werden wir, wenn es so weitergeht, in 20 oder 30 Jahren über eine 1:100-Initiative diskutieren und werden dann jene, die heute als «verrückt« betrachtet werden, wieder als «normal» und «vernünftig» gelten oder umgekehrt oder was vielleicht sonst noch alles? «Glücklicherweise», so beschrieb Gottfried Keller die Schweiz des Jahres 1860, «gibt es bei uns keine ungeheuer reichen Leute, der Wohlstand ist ziemlich verteilt; lass aber einmal Kerle mit vielen Millionen entstehen, und du wirst sehen, was die für einen Unfug treiben.»

Unbegreifliche Aufregung

Arbeitgeberverbände und bürgerliche Politiker warnen: Falls die 1:12-Initiative der Juso angenommen würde, hätte dies zur Folge, dass heutige Grossverdiener künftig auf eine Lohnsumme von insgesamt 1,5 Milliarden Franken verzichten müssten, was wiederum bedeuten würde, dass sich die jährliche Summe der heutigen AHV-Beiträge um 125 Millionen Franken reduzieren würde. Da gäbe es doch eine ganz einfache Lösung, oder nicht? Wenn sich die Gegner einer gesetzlich festgelegten maximalen Lohnbandbreite schon so grosse Sorgen um die Altersvorsorge machen, könnten sie ja 10 Prozent des Geldes, das sie bei den Managerlöhnen einsparen würden, der AHV-Kasse zur Verfügung stellen. Der AHV ginge es dann sogar noch besser als jetzt und den betroffenen Firmen des Grosshandels, der Finanz- und Versicherungsbranche stünde erst noch weit über eine Milliarde Franken gespartes Geld zur Verfügung, das sie vielleicht für Gescheiteres brauchen können als dafür, einzelnen Topmanagern Lohnsummen auszuzahlen, die man nicht einmal mit luxuriösestem und verschwenderischstem Lebensstil je wieder loszuwerden vermag.