Montag, 23. Dezember 2013

«Wir sind die Prinzen»

Was der holländische Beststellerautor Leon de Winter auf zwei vollen Seiten im heutigen Tages-Anzeiger an «Weisheiten» von sich gibt, hat nun wirklich nichts mehr mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung zu tun, sondern nur noch mit Respektlosigkeit, Unverständnis, um nicht zu sagen Dummheit. So sagt er, in Bezug auf Einwanderer, es sei zwar «nachvollziehbar, dass man mit einem Minimum an Arbeit ein Maximum an Sozialleistung zu bekommen versucht, es ist aber ebenso nachvollziehbar, dass die Einheimischen keine Freude haben, wenn immer mehr Menschen am Tropf ihres Sozialstaats hängen». Als einziges Beispiel nennt de Winter einen Rumänen, der an einer Strassenecke in Amsterdam den ganzen Tag lang die gleiche Melodie spielt und damit den Passanten das Geld aus der Tasche zieht. Mit keinem Wort erwähnt er jene Millionen von Ausländerinnen und Ausländern, die in den Fabriken, auf den Baustellen, in den Spitälern, im Gastgewerbe und in der Landwirtschaft der reicheren europäischen Länder tagtäglich jene harte und meist nicht besonders gut bezahlte Arbeit leisten, ohne die wir unsere vielgelobten «Sozialstaaten» niemals hätten aufbauen können. Aber es kommt noch besser: «Wir sind die Prinzen der Geschichte», sagt de Winter und gibt dann auf die von ihm selber gestellte Frage, weshalb «Migrantenkinder nicht in der Lage sind, ihre Schule erfolgreich abzuschliessen» gleich die aus seiner Sicht einzig mögliche Erklärung: «Es gibt eben gute und weniger gute Kulturen». Ich wünschte Herrn de Weck so viele wertvolle und bereichernde Begegnungen mit Ausländerinnen und Ausländern, wie ich sie während meiner Tätigkeit als Oberstufenlehrer und Gemeindepolitiker machen durfte, dann würde er eine solche Aussage zweifellos nicht mehr über sein Herz bringen.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Nur einmal im Leben Skiferien in Arosa oder St. Moritz

Heute Morgen hat sie ihre letzten paar Franken zusammengekratzt und es ist ihr erster freier Tag nach sieben mal neun Stunden Kunden bedienen bis zum Umfallen und andere gehen jetzt Ski fahren nach Arosa oder St. Moritz und sie kratzt ihre letzten paar Franken zusammen. Fünf Tage muss es noch reichen aber den Blick von dem auf dem Sozialamt braucht sie jetzt nicht, da verzichtet sie lieber auf die Bananen und die Schokolade, auch wenn Manfred noch so quengelt. 
   Die verdammten Salzstengel und Schleckwaren immer auf der Augenhöhe und in Reichweite des Kleinen. Nein Manfred, leg das zurück. Aber das Mädchen dort drüben hat doch auch. Ja, aber du nicht. Vielleicht nächste Woche. Oder übernächste. Hinten, bei der Fleischabteilung, wartet Angela, die Gute hat's nicht vergessen. Rasch die Wurst, abgelaufen und nicht mehr verkaufbar, für Carla beiseite gesteckt und jetzt ins Einkaufskörbchen gelegt, bloss dass es niemand sieht, die an der Kasse weiss Bescheid, 30 Rappen sind in Ordnung, die Wurst wäre ja sonst im Abfalleimer gelandet.   
   Zahnpasta brauchen wir, ohne das geht's einfach nicht. Zwei Eier, dann haben wir ein bisschen was zur Wurst dazu. Das Brot am Morgen können wir auch ohne Butter und Marmelade essen. Das Cola kannst du vergessen. Und die Geburtstagsparty bei McDonalds gibt's dann vielleicht nächstes Jahr, wenn du sieben bist. Oder übernächstes, wenn ich vielleicht einen besseren Job habe. Oder wenn wir vielleicht eine billigere Wohnung finden. Oder wenn vielleicht die auf dem Sozialamt denken, dass man doch auch mal wem eine Freude machen könnte, so ganz extra und ausserhalb jeglicher Norm.  
   Ob es die Zahnpasta ist oder die Wohnungsmiete, die abgelaufene Wurst oder die Krankenkassenprämie, die zwei Eier, das Cola oder der McDonalds: Ganz oben, unsichtbar, sitzt fast immer ein Mann. Bei jedem Handgriff, wo immer etwas hergestellt, gekauft oder verkauft wird, bei jedem der letzten Frankenstücke bis Ende Monat, wo immer eine Ware ihren Besitzer wechselt, wo immer Geld von der einen Hand in die andere hinüberwechselt, wo immer du ein bisschen ärmer wirst, wird er, der unsichtbare Mann, ein bisschen reicher. Fünf- oder zehntausend oder mehr Carlas quälen sich an diesem Morgen mit schmerzenden Beinen und Rücken von viel zu viel Arbeit und viel zu viel Traurigkeit mit ihren viel zu lauten, zappeligen, nervigen kleinen Manfreds an endlosen Warenhausgestellen entlang und stellen die Zahnpasta noch einmal zurück, weil es doch noch Dringenderes gäbe, und nehmen sie dann doch wieder, weil sie den schlechten Atem im eigenen Mund einfach nicht mehr ertragen. Und jedes Mal, bei jeder Zahnpasta und bei jeder noch so abgelaufenen Wurst, bei den Eiern und bei dem halben Liter Milch, der wieder für zwei Tage reichen muss, klingelt eine unsichtbare Kasse mit. Wenn Carla ihr Häufchen auf dem Fliessband aufgeschichtet und ihre letzten paar Franken aus der Geldtasche zusammengeklaubt hat, dann hat sich die schwarzgezackte Linie an der Wand hinter dem unsichtbaren Mann wieder um einen Bruchteil eines Millimeters nach oben bewegt, und das millionenfach, wo immer eine Zahnpasta, zwei Eier, ein halber Liter Milch und eine abgelaufene Wurst über ein Fliessband rollen. Reiche werden nicht reich, weil sie viel arbeiten, viele Schmerzen in den Beinen und im Rücken und quengelnde Kinder am Rockzipfel haben. Reiche werden reich, weil sie viel besitzen. Und Arme werden auch dann noch ärmer, wenn sie bis zum Umfallen gearbeitet haben und trotz aller Schmerzen ihre Geduld mit dem kleinen Manfred immer noch nicht verloren und spät nachts den leeren Tisch abgeräumt haben und nur noch davon träumen, auch einmal im Leben, nur ein einziges Mal, in Arosa oder in St. Moritz mit dem kleinen Manfred Skiferien machen zu können.

Dienstag, 17. Dezember 2013

So schnell ändern sich die Zeiten

Kürzlich gab – wie das St. Galler Tagblatt am 11. Dezember 2013 berichtete – das Bundesgericht einem Entscheid des St. Galler Migrationsamtes Recht, wonach einer 51jährigen Frau und ihrem 46jährigen Partner, beide italienische Staatsangehörige, ab sofort die Niederlassungsbewilligung entzogen wird und sie deshalb die Schweiz verlassen müssen, und zwar ungeachtet des Umstands, dass beide in der Schweiz geboren wurden, nie irgendwo anders gelebt haben und auch ihre mittlerweile volljährige, sich noch in der Ausbildung befindliche Tochter hierzulande wohnhaft ist. Als «Vergehen», welche zu diesem Entscheid geführt haben, werden folgende genannt: Drogensucht, mehrere Straftaten im Zusammenhang mit Drogengeschäften, Diebstahl, Hehlerei, Körperverletzung, offene Verlustscheine, hohe Schulden, Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und «fehlende Integration». Zugegeben, eine beachtliche Liste von «Verfehlungen» aller Art. Aber befinden wir uns da – vielleicht abgesehen vom Tatbestand der Körperverletzung – nicht schon in einem sehr gefährlichen und aller möglichen Willkür unterworfenen Graubereich? Sind Arbeitslosigkeit, fehlende Integration, hohe Schulden und die eigene Drogensucht tatsächlich so schwer wiegende Gründe, die es rechtfertigen, Menschen, die ihr ganzes bisheriges Leben in unserem Lande verbracht haben, im Alter von 50 Jahren auf Knall und Fall in ein ihnen gänzlich fremd gewordenes Land «zurückzuschicken», wo ihre bereits genug schlimme Lebenssituation höchstwahrscheinlich noch viel schlimmer sein wird, als sie es schon ist? Hätte ein Einwanderungsland wie die Schweiz, die ihren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern so viel zu verdanken hat, nicht auch eine gewisse moralische Pflicht, sich um diese Menschen auch dann noch sie zu kümmern, wenn sie uns gewisse «Schwierigkeiten» bereiten, wenn es ihnen weniger gut geht und sie auf soziale Sicherheit und Unterstützung gerade umso dringender angewiesen wären?
   Im Vorfeld der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative sprach man fast nur von ausländischen Mördern und Vergewaltigern, die hier bei uns in der Schweiz nichts zu suchen hätten. Im Fokus stand dabei jenes Zerrbild eines ausländischen Messerstechers, den begreiflicherweise niemand bei sich zu Hause haben möchte, was dann sicher auch wesentlich dazu beitrug, dass die Ausschaffungsinitiative trotz völker- und menschenrechtlicher Bedenken von einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung angenommen wurde. Jetzt aber geht es bereits nicht mehr bloss um Mörder und Vergewaltiger, sondern schon um Menschen, die ihr Leben mit Drogen verpfuscht, über zu lange Zeit nicht gearbeitet und sich verschuldet haben. So schnell also ändern sich die Zeiten. Wird man nun schon bald auch übergewichtige oder übermässig Zigaretten rauchende Ausländerinnen und Ausländer ausschaffen mit dem Argument, sie würden unser Gesundheitssystem finanziell zu sehr belasten? Oder all jene ausländischen Familien, die mehr als drei Kinder auf die Welt stellen, mit der Begründung, sie verursachten viel zu hohe Ausgaben im Bildungsbereich? Oder gar jene ausländischen Maurer oder Tunnelbauer, die infolge eines schweren Arbeitsunfalls eine IV-Rente beziehen und damit unsere Staatskasse übermässig belasten?
    «Mit der Propaganda für die Ausschaffungsinitiative werden falsche Signale ausgesendet», warnte Rechtsanwalt Marc Spescha im August 2010. «Die Ausländerdebatte wird damit einmal mehr und diesmal erst recht und ausschliesslich zur Debatte über Ausländerkriminalität. Damit verfestigt sich ein Diskurs, der auf Ausgrenzung ausgerichtet ist. Das interkulturelle Klima wird vergiftet, wenn während Monaten das stereotype Bild vom Ausländer als Störenfried gezeichnet wird. Beteuerungen wie jene, dass man ja nicht alle Ausländer meine, sind eine billige Ausflucht. Sie ändern nichts daran, dass der Ausländer pauschal als Straftäter in den Fokus rückt.» Wer hätte damals gedacht, dass Spescha so bald schon Recht bekommen sollte!

Jetzt sofort hier unterschreiben: http://keine-ausschaffung.ch/


Sonntag, 15. Dezember 2013

Weihnachten im Libanon

Nachrichten auf Radio FM1, gestern Mittag. Der Nahe Osten sei von einem der härtesten Winter seit Jahrzehnten betroffen, in Israel hätten Zehntausende Haushalte keinen Strom und im Libanon seien innert kürzester Zeit 40 Zentimeter Schnee gefallen. Punkt, Ende. Es folgt ein Werbespot von Ikea St. Gallen: Was man dort für schöne Dinge kaufen könne und dass allen Kindern, die mit ihrer Familie zum Weihnachtseinkauf kommen, sogar ein kostenloses Mittagessen offeriert werde. Doch meine Gedanken sind beim härtesten Winter und dem Schnee in Libanon hängen geblieben. Weshalb wurde in den Nachrichten zwar erwähnt, dass in Israel Zehntausende Haushalte keinen Strom hätten, nicht aber, dass im Nordosten Libanons gegenwärtig Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg praktisch schutzlos heftigsten Stürmen und eisigsten Temperaturen ausgesetzt sind? Und weshalb wurde nicht darüber berichtet, dass ein grosser Teil der Zelte, in denen die Flüchtlinge notdürftigst untergebracht sind, bereits unter der zentnerschweren Schneelast eingebrochen sind? Und dass die meisten Kinder, die sich auf der Flucht aus dem Kriegsgebiet zu den Zeltlagern durch den tiefen Schnee hindurchkämpfen müssen, an ihren Füssen nicht einmal Socken tragen, höchstens ein Paar zerlumpter Sandalen? Und dass sich die hungernden und frierenden Flüchtlingsfamilien, die all ihr Hab und Gut verloren haben, zu alledem noch mit hungrigen Ratten und Wölfen herumschlagen müssen?
   Es kann kein Zufall sein. Heute Mittag, Nachrichten auf Radio SRF3. Wieder werden die israelischen Haushalte erwähnt, die immer noch ohne Strom sind. Und wieder kein Wort über das Elend der syrischen Flüchtlinge im Libanon inmitten eines der härtesten Winter seit Jahrzehnten. Wird all dieses unermessliche Elend etwa deshalb verschwiegen, weil es so ganz und gar nicht in diese «friedliche» Zeit passt, die wir mit Advent und Weihnachten gerade am Feiern sind? Oder liegt der Grund eher darin, dass wir uns einen dem europäischen Standard vergleichbaren israelischen Haushalt einfach viel besser vorstellen können und uns daher auch viel leichter in die Situation einer solchen Familie, der seit Tagen kein Strom zur Verfügung steht, einfühlen können als in eine Familie, die irgendwo ausserhalb aller Zivilisation, zu Tode erschöpft, ausgehungert und halbverfroren, von einem Rudel Wölfe angegriffen wird – obwohl zwischen dem einen und dem anderen bloss ein paar wenige hundert Kilometer liegen?
   Weihnachten 2013. War Jesus nicht auch ein Flüchtlingskind? Und fand das Ereignis, das wir in wenigen Tagen unter dem Weihnachtsbaum in unseren behaglich geheizten Stuben feiern werden, nicht in unmittelbarer Nähe jenes Gebietes statt, von dem wir, wenn kein Wunder geschieht, wohl schon bald die ersten Meldungen über verhungerte, erfrorene oder von Wölfen getötete syrische Flüchtlinge hören werden? Doch Hauptsache, das Weihnachtsgeschäft läuft und die Wirtschaftszahlen zeigen wieder nach oben und die Kinder bei Ikea können ihre Bäuche so richtig vollschlagen. Frohe Weihnachten!

Montag, 9. Dezember 2013

Pisa 2013, 2016, 2019 ... 2040 ... und dann?

Wieder einmal ist es soweit, wie alle drei Jahre: Hier die Jubelschreie der «Aufsteiger», dort der Schock und das Entsetzen bei all denen, die es wieder einmal nicht geschafft haben oder sogar noch weiter in den Keller gerutscht sind. Dieses Erdbeben, das durch die gesamte globale Bildungspolitik donnert jedes Mal dann, wenn die aktuellen Ergebnisse der länderübergreifenden Pisa-Studie veröffentlicht werden, mit denen angeblich «objektiv» festgestellt wird, wie «effizient» die Schulsysteme der – insgesamt 74 – miteinander verglichenen Länder sind. Obwohl es doch, bei Lichte besehen, ganz logisch ist, dass bei jeder Art von Prüfung, in der A mit B und C verglichen werden – selbst wenn die Prüflinge nahezu identisch wären und sogar wenn sie exakt den gleichen IQ hätten –, dennoch stets gewisse noch knapp messbare Unterschiede festzustellen sind und sich demzufolge auch unterschiedliche Rangplätze errechnen lassen – ebenso wie bei einem Skirennen, bei dem zwischen den einzelnen gemessenen Zeiten bloss Hundertstel- oder gar Tausendstelsekunden liegen und man dennoch ganz selbstverständlich von «Siegern» und «Verlierern» spricht. Doch das Vergleichen und Messen von allem Möglichen und Unmöglichen ist in unseren Köpfen offensichtlich schon so sehr zum allgemeingültigen Massstab von «Qualität» und Bewertung geworden, dass wir uns schon gar nicht mehr darüber Gedanken machen, was womit und weshalb und wozu da überhaupt verglichen wird.
   Das Absurde liegt ja nicht nur darin, dass es bei alledem längst nicht mehr darum geht, was an Nützlichem und Sinnvollem, für das Leben Brauchbarem in den Schulen überhaupt gelernt wird, sondern bloss darum, um wie viel schneller oder langsamer die einen das tun im Vergleich zu den anderen, so absurd und sinnlos das, was sie tun, auch sein mag. Das weitaus noch viel Absurdere – und eigentlich Fatale – liegt in den Auswirkungen, die das Ganze hat. Denn diese sind, im Gegensatz zur Absurdität des Wettlaufs an sich, durchaus sehr konkret und real. Als zum Beispiel bei der Pisastudie 2010 die Schaffhauser Schülerinnen und Schüler in Mathematik deutlich besser abschnitten als ihre Zürcher Altersgenossinnen und Altersgenossen, ging im Kanton Zürich sogleich eine hitzige Diskussion los, was für Massnahmen nun wohl ergriffen werden müssten, um drei Jahre später, bei der nächsten Pisastudie, ein ähnliches Debakel zu vermeiden. Die nächst liegende Idee: Der Mathematikunterricht müsse im Kanton Zürich mehr Wochenlektionen bekommen als bisher. Abzwacken könnte man diese Lektionen ja zum Beispiel bei Musik, Zeichnen, Handarbeit oder Sport, da diese Fachbereiche in der Pisastudie ohnehin nicht gemessen würden. Noch absurder wird es beim Vergleichen der Länderergebnisse untereinander. Wenn Länder wie China, Japan und Südkorea in sämtlichen gemessenen Lernbereichen an der Spitze liegen, müssten logischerweise alle übrigen Länder der Welt, wollen sie ihre Schulsysteme verbessern – und wer wollte das schon nicht! –, möglichst grosse Anstrengungen unternehmen, um sich diesen Spitzenplätzen zu nähern oder aber sie sogar den Spitzenreitern wegzuschnappen. Dies würde bedeuten, dass man die Kinder und Jugendlichen auch in all jenen Ländern, wo dies heute noch nicht der Fall ist, einem ähnlichen Drill und einer ähnlichen Tag-und-Nacht-Non-Stop-Beschulung möglichst schon ab der Geburt unterwerfen müsste, wie dies in den Ländern mit den besten Pisa-Ergebnissen an der Tagesordnung ist. Aber selbst das würde ja grundsätzlich nichts ändern. Denn die Chinesen, Japaner und Südkoreaner würden in dieser Zeit nicht schlafen und sich ganz bestimmt etwas noch Raffinierteres einfallen lassen, um ihre Spitzenposition um jeden Preis zu verteidigen. Und selbst wenn sämtliche Kinder und Jugendlichen in allen Ländern der Welt 24 Stunden pro Tag zur Schule gingen und gar nichts anderes mehr lernen würden als das, was in den Pisa-Prüfungen getestet wird, würde dennoch eine zum Beispiel im Jahre 2040 durchgeführte Pisastudie erneut zu einer Rangliste von Platz 1 bis Platz 74 führen. Und dann?

Dienstag, 26. November 2013

Verschiedene Ansichten über das Unglaubliche

G.H. hat in unserer Lokalzeitung einen Leserbrief geschrieben mit dem Titel «Unglaublich!». Darin ereifert er sich darüber, dass Flüchtlinge aus Syrien in Bern für ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz demonstriert hätten. Die sollten, schreibt er, froh sein, dass sie überhaupt hier sein dürfen, und: «wenn es ihnen nicht passt, sollen sie verschwinden».
   Unglaublich finde ich es auch. Aber nicht, dass syrische Flüchtlinge dafür kämpfen, in der Schweiz bleiben zu dürfen, um nicht mehr in ihr kriegszerstörtes Land zurückkehren zu müssen, denn jeder von uns würde in der gleichen Situation genau das Gleiche tun. Unglaublich finde ich vielmehr, dass dieser Krieg bereits über 100‘000 Tote gefordert hat. Unglaublich finde ich, dass der Irak bereits 200‘000, die Türkei 510‘000, Jordanien 540‘000 und Libanon sogar 810‘000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, ohne dass die Bevölkerung der betroffenen Länder der Aufnahme dieser Flüchtlinge bisher massiven Widerstand entgegensetzt hätte. Unglaublich finde ich, dass im syrischen Bürgerkrieg sogar schon Kleinkinder gefoltert werden, Hunderttausende geflüchtete Familien über den Winter in ungeheizten Zelten und fast ohne Lebensmittel ausharren müssen und im Norden Syriens infolge fehlender Impfstoffe sogar die Kinderlähmung wieder ausgebrochen ist – um nur einige wenige unzähliger Schreckensmeldungen zu nennen, die täglich in unseren Medien zu lesen und zu hören sind.
   Damit alle diese Unglaublichkeiten ein möglichst rasches Ende finden, muss endlich an einer internationalen Konferenz mit allen beteiligten Parteien eine friedliche Lösung für die Zukunft Syriens gefunden werden. Wir alle können dazu etwas beitragen, indem wir den Bundesrat dazu auffordern, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit die auf Ende Januar in Genf geplante Friedenskonferenz nicht noch einmal auf einen unbestimmten Zeitpunkt hinausgeschoben wird.

Samstag, 23. November 2013

Von der 1:12-Initiative zur 1:1-Initiative

Unabhängig davon, ob die 1:12-Initiative in der morgigen Volksabstimmung angenommen wird oder nicht: Wohl noch nie stand die Frage nach der Lohngerechtigkeit über eine so lange Zeit im Zentrum der öffentlichen schweizerischen Politdiskussion. Und dass dies ein Thema ist, das nicht nur die Schweiz bewegt, zeigt sich am grossen internationalen Echo auf die 1:12-Initiative: In Deutschland, Grossbritannien, Italien, Spanien und Griechenland haben verschiedene Medien über das schweizerische Volksbegehren berichtet, in den USA widmete gar das renommierte «Wall Street Journal» der 1:12-Initiative einen Artikel, ein südkoreanischer Fernsehsender brachte ebenfalls einen Beitrag zu diesem Thema und linke Organisationen in Italien, Frankreich, Portugal, Deutschland, Österreich und Kosovo haben Interesse an der 1:12-Forderung signalisiert, während die spanischen Sozialisten sie sogar bereits in ihr Wirtschaftsprogramm aufgenommen haben.
   Die Diskussion über die Lohngerechtigkeit wird daher am 24. November 2013 wohl kaum zu Ende sein, sondern aller Voraussicht nach erst so richtig losgehen.
   Doch was ist ein wirklich gerechter Lohn? Ist ein Verhältnis von 1:12 zwischen Tiefst- und Höchstlöhnen nicht ebenso willkürlich und damit letztlich auch ungerecht wie ein Verhältnis von 1:20 oder 1:6? Kann jemand zwölf Mal mehr leisten als ein anderer? Kann eine bestimmte Arbeit zehn Mal, drei Mal oder doppelt so «wertvoll» sein wie eine andere? Wäre das einzige wirklich Logische und Gerechte nicht erst ein Verhältnis von 1:1, ein «Einheitslohn» also?
   Nehmen wir zum Beispiel einen Vermögensverwalter. Um seinen lukrativen Job ausüben zu können, der ihm am Ende jedes Monats ein weit überdurchschnittliches Einkommen beschert, ist der Vermögensverwalter auf eine Vielzahl von Tätigkeiten angewiesen, die von anderen Menschen unterschiedlichster Berufsrichtung erbracht werden. Denken wir nur etwa an das Gebäude, in dem der Vermögensverwalter sein Büro eingerichtet hat. Dieses Gebäude würde nicht stehen, wenn es all jene Maurer, Zimmerleute, Gipser, Architekten, Kranführer, Bauzeichnerinnen, Elektriker, Malerinnen, Bodenleger, Lüftungsspezialisten, Dachdecker, Heizungs- und Sanitärinstallateure nicht gäbe, die es geplant, gebaut und ausgestattet haben. Oder das Auto, welches es dem Vermögensverwalter erlaubt, jederzeit und an jedem beliebigen Ort Kundenbesuche zu tätigen – wiederum ist es eine fast unübersehbare Vielzahl an Berufsleuten, von den Fliessbandarbeitern in der Autofabrik über Designer und Motorenbauer bis zu den Automechanikern, die mit ihrer täglichen Arbeit gewährleisten, dass Autos nicht nur hergestellt werden, sondern auch jederzeit in fahrtüchtigem Zustand verbleiben, während gleichzeitig unzählige Bauarbeiter damit beschäftigt sind, Strassen, Tunnels und Brücken zu erstellen bzw. instand zu halten, damit Berufstätige wie der Vermögensverwalter einen möglichst geringen Teil ihrer Arbeitszeit für das Bewältigen der Distanzen zwischen den einzelnen Kunden aufzubringen haben. Aber auch das ist längst noch nicht alles. Höchstwahrscheinlich besucht der Vermögensverwalter seine Kunden nicht nackt. Seine gesamte Ausstattung an Kleidern, Schuhen, Accessoires, seine Brille, das Duschmittel, der Rasierapparat, sein Aktenkoffer, der Papierblock, der Kugelschreiber, die Kaffeetasse, der Regenschirm – alles und jedes musste von irgendwem irgendwo erst einmal hergestellt worden sein. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass sich der Vermögensverwalter von Luft ernährt. Beginnt sein Arbeitstag, haben bereits Tausende von Bauern und Landarbeiterinnen, Bäcker, Metzger, Arbeiterinnen und Arbeiter in Zuckermühlen, Teigwaren- und Getränkefabriken, Lastwagenfahrer und Angestellte in den Supermärkten ein Riesenpensum Arbeit geleistet, damit sich der Vermögensverwalter mindestens dreimal täglich vielseitig und ausreichend ernähren kann, um seine Arbeit mit vollen Kräften und bei bester Gesundheit leisten zu können. Und falls er dennoch eines Tages ernstlich erkranken oder gar von einem Unfall betroffen sein sollte, steht ihm von der Apothekerin und der Physiotherapeutin über die Krankenschwester bis zum Augenarzt oder dem Chirurgen wiederum ein Riesenheer an extra hierfür ausgebildeten Berufsleuten zur Verfügung, die dafür sorgen, dass der Vermögensverwalter seine Arbeit so schnell wie möglich wieder aufnehmen kann. Wir könnten jetzt noch von der Coiffeuse des Vermögensverwalters sprechen, von der Verkäuferin, welche ihn bei der Wahl einer neuen Krawatte berät, von den Mitarbeiterinnen des Callcenters, die seine telefonischen Anfragen an die richtigen Stellen weiterleiten, vom Informatiker, der für ihn stets die neuesten Computerprogramme installiert, von den Männern von der Kehrichtabfuhr oder vom Schneeräumungsdienst, die dafür sorgen, dass die Aus- und Einfahrt zu seinem Parkplatz jederzeit ungehindert passierbar ist, von den Angestellten des öffentlichen Abwasserdienstes, welche Kanäle und Abwasserrohre von Abfall befreien, damit es keine Überschwemmungen gibt, von den Köchen und den Kellnerinnen in dem Spezialitätenrestaurant, wo er sich mit Kunden oder Geschäftspartnern regelmässig zum Arbeitslunch trifft – die Liste all jener Menschen, ohne deren Arbeit der Vermögensverwalter seine eigene berufliche Tätigkeit nicht einen einzigen Tag lang ausüben könnte, liesse sich ins schier Unendliche ausdehnen und man könnte wohl leicht damit ein ganzes Buch füllen.
   Eigentlich wäre es daher bloss ein selbstverständliches Gebot der Fairness, wenn der Vermögensverwalter zumindest einen Teil seines weit überdurchschnittlichen Einkommens, welches er am Ende jedes Monats auf seinem Konto hat, an all jene weitergeben würde, die mit so viel Einsatz und Fleiss dazu beigetragen haben, dass er seine Tätigkeit überhaupt ausüben kann. Man könnte nun lange und ausführlich darüber diskutieren, wie gross der Anteil sein müsste, den er von seinem Einkommen dafür abzweigen müsste, damit er ein gutes Gewissen haben könnte, sich nicht auf Kosten anderer bereichert zu haben. Eigentlich gibt es darauf nur eine einzige wirklich logische, einleuchtende Antwort: Er müsste von seinem eigenen Einkommen genau so viel abziehen und an alle, die ihm zu dessen Erzielung verholfen haben, weitergeben, bis alle – inklusive er selber – den gleichen Anteil am gesamten Einkommen aller hätten. Denn der Vermögensverwalter ist ja nicht der Einzige, der sich an der Arbeit anderer bereichert. Alle sind auf berufliche Tätigkeiten unzähliger anderer angewiesen, damit sie ihre eigene berufliche Tätigkeit ausüben können. Alle bereichern sich deshalb auf Kosten anderer. Ausser natürlich jene, die einen – im Quervergleich mit sämtlichen anderen Berufen – unterdurchschnittlichen Lohn verdienen. Bei ihnen ist es genau umgekehrt. So wie alle überdurchschnittlich Verdienenden sich auf Kosten anderer bereichern, so wird allen unterdurchschnittlich Verdienenden ein Teil ihres Lohnes, auf den sie eigentlich Anspruch hätten, vorenthalten. Wenn wir daher auf diesem Gedankenweg schliesslich zur Forderung nach einem Einheitslohn gelangen, dann ist das bloss so etwas Simples und Logisches, wie es zum Beispiel in jedem afrikanischen Dorf üblich war, bevor das Land von den Europäern erobert wurde: Kamen die Männer gegen Abend von der Jagd nach Hause – der eine hatte zwei Affen gefangen, der andere nur einen, wieder einer gar vier und andere überhaupt keinen –, dann wurde das erlegte Fleisch in genauso viele gleich grosse Stücke zerlegt, dass alle Männer, Frauen und Kinder des Dorfes den genau gleich grossen Anteil daran zu essen bekamen.
   Denken wir das Ganze logisch weiter, dann müsste ein Einheitslohn freilich nicht nur innerhalb eines einzelnen Landes, sondern weltweit gelten. Denn, um auf das Beispiel unseres Vermögensverwalters zurückzukommen: Höchstwahrscheinlich stammt mindestens die Hälfte aller Lebensmittel, die er verzehrt, von Ländern ausserhalb der Schweiz, Abertausende Menschen von Spanien über Tunesien und Brasilien bis nach Australien und Vietnam haben schwerste Arbeit dafür geleistet, dass sich der Vermögensverwalter jeden Tag so abwechslungsreich und üppig ernähren kann. Eine unabsehbare Zahl von hart arbeitenden und wenig verdienenden Frauen in Rumänien, Bangladesch und China haben all die Kleider genäht, mit denen sich der Vermögensverwalter bei seinen Kunden so elegant präsentiert. Weder sein Computer, sein Smartphone noch sein Auto stünden ihm zur Verfügung, wenn sie nicht von Arbeiterinnen und Arbeitern in Taiwan, Japan, Südkorea oder China mit einem Riesenaufwand an Fleiss, Sorgfalt und Präzision hergestellt worden wären und wenn nicht unzählige Männer in Chile, Polen oder Südafrika jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzten, um noch aus den gefährlichsten Gruben und Schächten tief unter der Erde all jene Metalle und Stoffe ans Tageslicht zu befördern, welche zur Herstellung aller dieser Geräte unerlässlich sind. Mit jedem Dollar, der über dem weltweiten Durchschnittslohn liegt, bereichert sich der Vermögensverwalter Tag für Tag auf Kosten anderer. Mit jedem Dollar, den ein Kaffeebauer in Costa Rica, ein Kohlearbeiter in Argentinien oder eine Teppichknüpferin in Pakistan weniger verdient als den weltweiten Durchschnittslohn, wird ihnen allen jener gerechte Anteil am globalen wirtschaftlichen Gesamtgewinn vorenthalten, der sich ohne ihre tägliche Plackerei und ihr tägliches Elend in Sekundenbruchteilen in Nichts auflösen würde.
   «Der Unterschied zwischen so genannt höherer – gut bezahlter – und so genannt einfacherer – schlecht bezahlter – Arbeit», sagte Karl Marx, «beruht auf blossen Illusionen und hat einzig und allein mit der hilfloseren Lage derer zu tun, die weniger Macht haben, den echten Wert ihrer Arbeit zu ertrotzen.» Was sollte man dem noch beifügen. Höchstens vielleicht noch so viel: Die nächste Initiative kommt bestimmt. Vielleicht ist es ja dann eine 1:1-Initiative. Aber eine, die nicht nur innerhalb jedes einzelnen Unternehmens Gültigkeit haben soll. Und auch nicht nur innerhalb eines einzelnen Landes. Sondern weltweit.

Samstag, 16. November 2013

Auch Gleichgültigkeit kann tödlich sein

Wir sind uns alle einig und es würde uns nicht im Entferntesten einfallen, dies in Frage stellen zu wollen: Was zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus all jenen Menschen angetan wurde, die verfolgt, zu Sklavenarbeit gezwungen, grausamsten Experimenten ausgesetzt und in den Konzentrationslagern vernichtet wurden, gehört zu den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Und immer noch wundern wir uns darüber, dass ein zivilisiertes Volk wie das der Deutschen dies alles zulassen konnte, es so wenig Widerstand dagegen gab und sich so viele «normale» Bürgerinnen und Bürger als Mittäter und Mitverantwortliche missbrauchen liessen.
   Aber sind wir heutigen «zivilisierten» und «normalen» Bürgerinnen und Bürger so viel besser? Wissen wir nicht auch, dass wir Teil eines weltweit herrschenden Wirtschaftssystems genannt Kapitalismus sind, welches, während es uns in den reichen Ländern des Nordens grössten Wohlstand, Reichtum und Überfluss beschert, gleichzeitig jeden Tag weltweit 10‘000 Kinder an Hunger sterben lässt in Ländern, aus denen wir Nahrungsmittel und Rohstoffe importieren? Ist das Sterben an Hunger oder an Krankheiten infolge verschmutzten Trinkwassers so viel weniger grausam als das Sterben in den Gaskammern der Nationalsozialisten? Und ist unser Schweigen, unser Mitmachen, ja unser Mitprofitieren nicht ebenso unbegreiflich wie das damalige Schweigen und Mitmachen der «normalen» deutschen Zivilbevölkerung – umso mehr, als wir mit unserem Aufbegehren, unserem Widerstand, unserer Verweigerung ja nicht gleich, wie das unter dem Hitlerregime der Fall war, unser Leben riskieren würden?
   Was wird in den Geschichtsbüchern der Zukunft über unsere heutige Zeit wohl einmal geschrieben sein?

Freitag, 15. November 2013

Alles eine Frage des Wirtschaftssystems

«Ein Verbot der Prostitution führt nicht dazu, dass diese nicht mehr stattfindet – es gibt sie weiterhin, nur eben im Verborgenen, und dort ist es noch viel schwieriger, die Frauen zu schützen, denn kriminalisierte Frauen werden noch ausbeutbarer», so Rebecca Angelini, Mitarbeiterin der Zürcher Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in der «Wochenzeitung» vom 19.9.2013. Die gleiche Ansicht vertrat Susanne Kahl-Passoth, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg, vor zwei Tagen in der Sendung «sternTV» und sprach sich ebenfalls gegen ein Verbot der Prostitution aus, wie es zum Beispiel in Schweden bereits seit 1999 existiert.
   Natürlich haben Rebecca Angelini, Susanne Kahl-Passoth und viele andere Frauen, die ebenfalls vor einem Verbot der Prostitution warnen, weil das die Situation der betroffenen Frauen nur noch weiter verschlimmern und sie noch grösserer Gewalt und Ausbeutbarkeit aussetzen würde, grundsätzlich Recht. Wenn dann aber, um gegen ein Prostitutionsverbot zu argumentieren, gar noch behauptet wird, die betroffenen Frauen hätten ja grundsätzlich ein «Recht» darauf, diesen Beruf auszuüben, dann frage ich mich schon, wie weit die Akzeptanz der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung denn schon vorangeschritten sein muss, dass selbst Frauen, welche in ihrer täglichen Arbeit das ganze Ausmass an mit Prostitution verbundener Gewalt und Menschenverachtung mitbekommen und ihre eigene politische Einstellung durchaus als «kritisch«, «fortschrittlich» und «emanzipiert» bezeichnen würden, dennoch anderen Frauen nicht das «Recht» darauf absprechen möchten, ihre Körper gegen Geld zu verkaufen. «Es gibt viele Frauen, die sich – den Umständen entsprechend – freiwillig für die Sexarbeit entscheiden. Sie loten ihre Möglichkeiten aus und entscheiden sich bewusst für dieses Gewerbe, weil es ihnen ein ordentliches Einkommen erlaubt» - so die bereits oben zitierte FIZ-Mitarbeiterin Rebecca Angelini.
   Ja, wenn man davon ausgeht, dass die Welt nun halt mal so ist, wie sie ist, und sich höchstwahrscheinlich auch nicht so bald ändern wird, dann wird jeder noch so verzweifelte Versuch, jede noch so brutale Selbsterniedrigung zum Zwecke des nackten Überlebens früher oder später zum «legitimen Menschenrecht», das in Anspruch zu nehmen doch niemandem verwehrt werden könne.
   Natürlich greift die Forderung nach einem Prostitutionsverbot viel zu kurz. Natürlich wäre das reine Symptombekämpfung. Natürlich würde das unter Umständen die Situation der betroffenen Frauen zusätzlich noch viel schlimmer machen, als sie es jetzt schon ist. Aber die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis kann doch nicht sein, dass man sich damit abfindet und alle Kräfte nur noch darauf ausrichtet, wenigstens die allerschlimmsten Auswüchse ein ganz klein wenig abzumildern. Gleichzeitig und noch viel deutlicher und radikaler müsste doch die Forderung nach der Verwirklichung jener globalen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse erhoben werden, in denen es gar nicht mehr nötig ist, dass irgendwo auf der Welt eine Frau vor die Wahl gestellt wird, entweder sich und ihre Familie im Elend versinken zu lassen, oder aber ihre Heimat zu verlassen, sich all den mit Prostitution und Frauenhandel verbundenen Gefahren auszusetzen und ihren Körper täglicher Ausbeutung und Zerstörung preiszugeben.
   Prostitution und Menschenhandel sind nicht die einzigen, aber vielleicht die grausamsten Auswirkungen des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, welches dazu führt, dass sich an den einen Orten der Welt immer mehr Macht, Geld und Luxus anhäufen, während gleichzeitig an vielen anderen Orten dieser gleichen Welt immer mehr Menschen gezwungen sind, mit immer verzweifelteren Mitteln um ihr blosses Überleben zu kämpfen. Eine gerechte Welt, in der alle Menschen unabhängig davon, wo sie geboren wurden, die gleichen Chancen auf ein menschenwürdiges Dasein haben, ist keine Utopie. Es ist die einzige logische und vernünftige Alternative zu dieser aus allen Fugen geratenen heutigen Wirklichkeit, die wir als das «einzig Mögliche» und «Normale» zu sehen gewohnt sind.
   Und wenn dann eines Tages auch in Ungarn, in Weissrussland, in Nigeria und in Kolumbien jede Frau die Möglichkeit hat, mittels einer menschenwürdigen beruflichen Tätigkeit ihren Lebensunterhalt zu sichern, dann kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sich dann noch viele von ihnen freiwillig und bewusst dafür entscheiden werden, mitten im Winter in irgendeiner europäischen Grossstadt halbnackt auf der Strasse zu stehen und nur darauf zu warten, sich vom nächstbesten Mann verprügeln, sich die Haut zerschneiden oder sich ihre Zähne ausschlagen zu lassen.

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Eine Ablenkung vom Hauptproblem?

Die 1:12-Initiative ist ja sehr sympathisch. Aber wir sollten nicht nur über jene 4400 «Abzocker» diskutieren, die von einer Reduktion der Lohnschere auf 1 zu 12 unmittelbar betroffen wären. Wir sollten vor allem über den Kapitalismus diskutieren, seine immer deutlicher sichtbaren inneren Widersprüche, seine immer drastischere Ausmasse annehmende Zerstörungskraft. Wir sollten über den Irrglauben eines immerwährenden Wachstums diskutieren, das uns früher oder später in eine Selbstvernichtung der gesamten Menschheit führen wird. Wir sollten darüber diskutieren, dass nicht nur diese 4400 Topmanager «Abzocker» sind, sondern wir alle «Abzocker» sind gegenüber dem «Rest» der Welt. So gesehen ist die 1:12-Initiative zwar eine gute Sache, zugleich aber doch leider auch eine Ablenkung vom eigentlichen Hauptproblem. Thomas Schwendener hat eben schon recht, wenn er im «Vorwärts» vom 25. Oktober 2013 schreibt: «Ob die Initiative nun angenommen oder verworfen wird, es wird alles beim Alten bleiben. Es mag kleine Umschichtungen geben, da und dort eine Erhöhung der Löhne oder eine Firmenpleite. Aber das Fundament lässt man bestehen.»

Sonntag, 27. Oktober 2013

Zeichen und Wunder

Da geschehen ja schon Zeichen und Wunder: Volksinitiativen werden umgesetzt, noch bevor über sie abgestimmt worden ist...

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Kapitalismus schon bald überwunden?

Unglaublich, wie unsere politischen und wirtschaftlichen Machtträger ins Geifern und Schwitzen geraten, bloss weil man ein paar so harmlose und selbstverständliche Dinge fordert wie einen existenzsichernden Mindestlohn oder eine maximale Lohnschere von 1 zu 12. Es gehe dabei doch um nichts anderes als «die Unternehmer zu entmündigen und unter staatliche Aufsicht zu stellen» und auf diese Weise «den Kapitalismus zu überwinden» - so wortwörtlich der freisinnige Bündner Ständerat Martin Schmid in der «Südostschweiz» vom 10. Oktober 2013. Wie schön, wenn es tatsächlich so einfach wäre, den Kapitalismus zu überwinden!

Späte Einsicht

Ausgerechnet im Jahr ihres vielgefeierten 125jährigen Bestehens hat die schweizerische Sozialdemokratie wohl eines der unrühmlichsten Kapitel ihrer Parteigeschichte geschrieben. Offensichtlich weit mehr darauf bedacht, ihren «Regierungspartnern» nicht auf die Füsse zu treten statt sich in aller Klarheit und Deutlichkeit für die Bewahrung humanitärer Traditionen unseres Landes auszusprechen, ist SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga in ihrer Funktion als Justizministerin zur wichtigsten Wortführerin jener Asylgesetzverschärfungen geworden, denen das Schweizer Volk am 9. Juni 2013 schliesslich mit einer Mehrheit von 78,5 Prozent zugestimmt hat und die unter anderem zur Abschaffung des Botschaftsasyls geführt haben, dank dem verfolgte und Schutz suchende Menschen bisher in ihrem jeweiligen Herkunftsland auf einer Schweizer Botschaft ein Asylgesuch stellen konnten und dadurch nicht gezwungen waren, gefährliche Fluchtwege durch Kriegsgebiete oder übers Meer auf sich zu nehmen. Dass sich die SP nicht einmal zur Ergreifung des Referendums gegen diese Asylgesetzrevision durchringen konnte, dass die Zustimmung zu dieser Gesetzesvorlage und damit auch zur Abschaffung des Botschaftsasyls mit über 78 Prozent dermassen hoch ausfiel und dass, wie eine entsprechende Umfrage ergeben hat, sogar traditionell SP-Wählende zu 54 Prozent dieser Vorlage zustimmten – dies alles wäre wohl kaum möglich gewesen, wenn die gleiche Gesetzesvorlage von einer «bürgerlichen» Bundesrätin vertreten worden wäre oder wenn Bundesrätin Sommaruga Klartext gesprochen hätte, statt sich ängstlich hinter dem so genannten «Kollegialitätsprinzip» zu verstecken. Es klingt schon mehr als zynisch, wenn Simonetta Sommaruga nun plötzlich – angesichts der immer dramatischere Ausmasse annehmenden Flüchtlingstragödie vor den Küsten Siziliens und Lampedusas – in einem Gespräch mit Radio SRF einräumt, die Wiedereinführung des Botschaftsasyls wäre, um das Flüchtlingsproblem zu lindern, allenfalls «eine Überlegung wert». Wie wenn sie das alles nicht schon vorher gewusst hätte und wie wenn nicht in den vergangenen zwanzig Jahren bereits rund 20‘000 Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ihr Leben verloren hätten!
   Ist das der Preis, den die Sozialdemokratie für ihre Beteiligung an der Regierungsmacht zu bezahlen hat? Wenn dem so wäre und das weiterhin so bliebe, dann wäre am 125jährigen Jubiläumsfest der SPS nicht allzu viel zu feiern gewesen…

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Was ist Arbeit?

Wenn du ein Kind, dessen Mutter den Haushalt besorgt und keiner ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehst, fragst: «Was arbeitet deine Mutter?», wirst du mit allergrösster Wahrscheinlichkeit zur Antwort bekommen: «Nichts. Sie macht nur den Haushalt.» Diese doch ziemlich willkürliche und einseitige Auffassung und Definition dessen, was Arbeit ist und was nicht, finden wir aber nicht nur in den Köpfen von Kindern «nichtberufstätiger» Mütter oder Väter, sondern, wie ich bei der Lektüre des heutigen «Tages-Anzeigers» feststellen konnte, selbst bei akademisch gebildeten und wissenschaftlich tätigen Fachpersonen, von denen man eigentlich eine etwas differenziertere Sichtweise erwarten würde. Da äussert sich doch François Höpflinger, Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich mit dem Schwerpunkt Familien-, Alters- und Generationenfragen, zur Frage nach der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Karrierechancen wie folgt: «Selbstbewusste Frauen sehen die Mutterschaft nicht als Hindernis für ihre Berufschancen, sondern als eine Phase im Leben, die es auszukosten gilt. Arbeiten können sie später noch genug.»
   Wäre es angesichts solcher Bilder in unseren Köpfen nicht höchste Zeit, Sinn und Wert von Arbeit bzw. «Nichtarbeit» einmal ganz grundsätzlich zu hinterfragen und allenfalls neu zu definieren? Es kann ja wohl unmöglich der Weisheit letzter Schluss sein, jede noch so absurde und sinnlose Art von Arbeit wie etwa – um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen – das Hin- und Herschieben irgendwelcher Protokolle und Formulare zwischen verschiedenen Abteilungen einer Firma, das gegenseitige Abwerben von Kundschaft durch Telefonate und Werbebriefe oder das Aufstapeln einer Unmenge an Waren und Produkten, von denen man schon von Anfang an wissen müsste, dass sie eh niemand kaufen wird, nur deshalb als «echte» Arbeit zu bezeichnen, weil man damit Geld verdienen kann. Während eine gesamtgesellschaftlich gesehen so elementare, wichtige und letztlich unerlässliche Arbeit wie die einer Mutter, eines Vaters, einer Hausfrau oder eines Hausmanns nur deshalb nicht als Arbeit wahrgenommen wird, weil sie zum Nulltarif geleistet wird.

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Der Staat als «Bösewicht»


«Lohndiktat vom Staat?» - mit diesem Slogan wollen uns die Gegner der 1:12-Initiative weismachen, dass eine gesetzliche Beschränkung der maximalen Lohnschere zwischen Tiefst- und Höchsteinkommen so etwas wäre wie ein unnötiger, unzulässiger, schädlicher und deshalb unbedingt zu bekämpfender Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen und der Wirtschaft. Dabei aber wird gänzlich ausgeklammert, dass unsere Löhne schon längstens von einer viel höheren und viel stärkeren Macht bestimmt werden, als es der Staat jemals gewesen ist. Diese Macht ist der so genannte «Freie Markt», der das einzelne Unternehmen dazu zwingt, mit möglichst geringen Lohnkosten eine möglichst hohe Rendite zu erzielen, um sich im gegenseitigen Konkurrenzkampf mit anderen Unternehmen behaupten zu können. Aber es ist eben viel einfacher, den Staat als «Bösewicht» hinzustellen, weil man sich - mit den Politikern, den Gesetzen, den Steuern, usw. - darunter etwas ganz Konkretes vorstellen kann, während der «Freie Markt» ein unsichtbares und viel weniger konkretes Machtgebilde darstellt, das sich - im Gegensatz zu den vom Volk gewählten Politikerinnen und Politikern - erst noch jeglicher demokratischer Kontrolle entzieht. Dass diejenigen, welche das «Lohndiktat vom Staat» bekämpfen, nicht mit der gleichen Vehemenz auch das ungleich viel schlimmere «Lohndiktat vom Freien Markt» bekämpfen, ist der beste Beweis dafür, dass es ihnen eben nicht so sehr um das Wohl der arbeitenden Menschen geht, sondern weit mehr darum, dass sich an den bisherigen Rahmenbedingungen einer «freien» Wirtschaftsordnung, die ein immer grösseres Auseinanderdriften zwischen schlecht bezahlter Arbeit auf den untersten Etagen und exorbitanter Gewinnanhäufung auf den obersten Etagen der gesellschaftlichen Machtpyramide zur Folge hat, möglichst nichts ändert.

Freitag, 4. Oktober 2013

Die Macht der Gewohnheit

Wie sich doch die Zeiten ändern. Und wie doch das Absurdeste und «Abnormalste», was man sich vorstellen kann, dennoch mit der Zeit zum «Normalen» wird, wenn man sich nur über genug lange Zeit hinweg daran gewöhnt hat. Hätte nämlich jemand vor 20 oder 30 Jahren behauptet, in der Schweiz würde je einmal jemand zwölfmal mehr verdienen als ein anderer, hätte man ihn vermutlich für verrückt erklärt. Heute erklärt man jene für verrückt, die bloss das gesetzlich festschreiben möchten, was eben noch undenkbar gewesen wäre. Werden wir, wenn es so weitergeht, in 20 oder 30 Jahren über eine 1:100-Initiative diskutieren und werden dann jene, die heute als «verrückt« betrachtet werden, wieder als «normal» und «vernünftig» gelten oder umgekehrt oder was vielleicht sonst noch alles? «Glücklicherweise», so beschrieb Gottfried Keller die Schweiz des Jahres 1860, «gibt es bei uns keine ungeheuer reichen Leute, der Wohlstand ist ziemlich verteilt; lass aber einmal Kerle mit vielen Millionen entstehen, und du wirst sehen, was die für einen Unfug treiben.»

Unbegreifliche Aufregung

Arbeitgeberverbände und bürgerliche Politiker warnen: Falls die 1:12-Initiative der Juso angenommen würde, hätte dies zur Folge, dass heutige Grossverdiener künftig auf eine Lohnsumme von insgesamt 1,5 Milliarden Franken verzichten müssten, was wiederum bedeuten würde, dass sich die jährliche Summe der heutigen AHV-Beiträge um 125 Millionen Franken reduzieren würde. Da gäbe es doch eine ganz einfache Lösung, oder nicht? Wenn sich die Gegner einer gesetzlich festgelegten maximalen Lohnbandbreite schon so grosse Sorgen um die Altersvorsorge machen, könnten sie ja 10 Prozent des Geldes, das sie bei den Managerlöhnen einsparen würden, der AHV-Kasse zur Verfügung stellen. Der AHV ginge es dann sogar noch besser als jetzt und den betroffenen Firmen des Grosshandels, der Finanz- und Versicherungsbranche stünde erst noch weit über eine Milliarde Franken gespartes Geld zur Verfügung, das sie vielleicht für Gescheiteres brauchen können als dafür, einzelnen Topmanagern Lohnsummen auszuzahlen, die man nicht einmal mit luxuriösestem und verschwenderischstem Lebensstil je wieder loszuwerden vermag.

Montag, 30. September 2013

Für immer unsichtbar

Er habe mit ansehen müssen, wie sein 12-jähriger Bruder aus dem von den sturmgepeitschten Wogen hochgeworfenen Boot geschleudert worden und für immer verschwunden sei, erzählt, am ganzen Körper zitternd, einer der 466 halbverdursteten Flüchtlinge aus Afrika, die übers vergangene Wochenende an der Küste Siziliens gelandet sind. Insgesamt wurden seit Jahresbeginn in Italien mehr als 22'000 Bootsflüchtlinge gezählt, dreimal mehr als im gesamten 2012. Schätzungsweise rund 19'000 Flüchtlinge sind in den vergangenen 20 Jahren bei der Überfahrt ums Leben gekommen – weil die Mauern und Sperrzäune entlang den Landgrenzen zu Europa mittlerweile so unüberwindbar geworden sind, dass der Weg übers Meer noch die einzige verbliebene Chance ist, aus der Hölle ins Paradies zu gelangen. Noch heute pilgern die Touristen in Berlin an jene mit Gedenktafeln versehenen Orte, wo Menschen auf der Flucht von Ostberlin nach Westberlin zwischen 1961 und 1989, der Zeit der berüchtigten «Berliner Mauer», ihr Leben lassen mussten. Wohin pilgern wohl dereinst die afrikanischen Väter und Mütter auf der Suche nach ihren verlorenen Kindern?

Freitag, 27. September 2013

Schleichende Islamophobie?

Antiminarettinitiative, Schulausschluss von Mädchen mit Kopftüchern, Burkaverbot im Tessin, bald vielleicht schon Burkaverbot in der ganzen Schweiz… Dass sich politische Gruppierungen und Parteien mittels Feindbildern, Schuldzuweisungen und Schwarzweissdenken zu «profilieren» versuchen – vor allem dann, wenn sie sonst nicht viel zu bieten haben – ist hinlänglich bekannt. Dass nun aber auch ein «seriöses» Schweizer Presseorgan wie der «Tages-Anzeiger» neuerdings auf die Islamophobie-Welle aufspringt, ist mehr als bedenklich. Am 16. September 2013 stellte TA-Mitarbeiter Michael Meier in seinem «Montagsporträt» auf einer halben Seite, prominent platziert und mit Bild, den «Islamwissenschaftler» Andreas Maurer vor. Folgenden Text habe ich dem «Tages-Anzeiger» in Form eines Leserbriefs zugeschickt, er ist aber nicht veröffentlicht worden. Es sind bis jetzt auch keine anderen Leserbriefe zu diesem Thema erschienen.
Dass Michael Meier in seinem Artikel den Evangelikalen Andreas Maurer, der bei Muslimen in der Schweiz für den christlichen Glauben missioniert, als «Islamwissenschaftler» bezeichnet, und dies ohne Anführungszeichen und ohne jeden kritischen Kommentar, hat mich mehr als erstaunt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Andreas Maurer tatsächlich ein wissenschaftliches Islamstudium absolviert hat, sonst käme er nämlich kaum auf so abstruse Behauptungen wie die, dass der Koran nur schon «deshalb nicht eine göttliche Heilsbotschaft» sein könne, «weil er so zentrale biblische Glaubenswahrheiten wie die Dreieinigkeit, den Kreuzestod und die Gottessohnschaft Jesu negiere». Auch Maurers Behauptung, der Islam sei eine «Religion der Angst», klingt aus dem Munde eines Evangelikalen mehr als stossend, wenn man bedenkt, wie gezielt gerade evangelikale Missionare und Prediger das Mittel des Angstmachens einsetzen. Das achtjährige Mädchen, das abends vor Angst nicht einschlafen konnte, weil seine – evangelikale – Religionslehrerin gesagt hatte, jeder schlechte Gedanken verursache im Herzen eines Menschen einen schwarzen Fleck, der für immer dort bleibe, ist nur eines von zahllosen Beispielen, die man an dieser Stelle aufführen könnte. Wer schliesslich, wie Maurer, sogar so weit geht, es für möglich zu halten, dass «das Gebilde Islam eines Tages zusammenfallen wird wie einst der Kommunismus», müsste sich mindestens die Gegenfrage gefallen lassen, ob nicht auch das Christentum – zumindest in der fundamentalistischen Art und Weise, wie es hier als «einzige Wahrheit» propagiert wird – allmählich am Ende seiner Geschichte angelangt sein könnte.

Volk belogen

Die heutige Kriegsmaterialverordnung, wonach Waffen und Munition nicht in Länder geliefert werden dürfen, in denen «Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden», geht dem Ständerat angesichts sinkender Erträge der Schweizer Rüstungsindustrie zu weit. So werden also, wenn auch der Nationalrat auf diese Linie einschwenkt, schon bald Schweizer Waffen auch in Länder geliefert werden können, in denen Menschen wegen ihrer politischen Gesinnung ins Gefängnis geworfen und gefoltert werden. Eine schallende Ohrfeige an all jene, die noch daran geglaubt haben, wichtige humanitäre Errungenschaften könne man nicht einfach so mir nichts dir nichts von einem Tag auf den andern über Bord werfen. Könnte man doch jetzt die Zeit um 41 Jahre zurückdrehen. So lange nämlich, bis fast auf den Tag genau, ist es her, als am 24. September 1972 über eine vom Schweizerischen Friedensrat initiierte Volksinitiative, welche ein generelles Exportverbot für Waffen forderte, abgestimmt wurde. Kaum zu glauben, aber wahr: Um eine gemäss Meinungsumfragen sich abzeichnende Annahme dieser Initiative zu verhindern, versprach der damalige Vorsteher des Militärdepartements, Bundesrat Rudolf Gnägi, zukünftig würden Bewilligungen für Kriegsmaterialexporte «sehr streng und restriktiv» behandelt. Die Rechnung ging auf: Eine knappe Mehrheit der Bevölkerung – nämlich 50,3 Prozent – glaubten den Worten des Bundesrates und lehnten die Initiative ab. Bloss 8000 Schweizerinnen und Schweizer hätten genug kritisch bleiben müssen und sich nicht von ihrer Überzeugung abbringen lassen dürfen – kein einziger Panzer, keine einzige Pistole, kein Schuss Munition hätte seither je unser Land verlassen. Weshalb gibt es eigentlich noch kein Gesetz, wonach Versprechungen, welche von Politikern einmal ans Volk abgegeben wurden, nicht einfach zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt sang- und klanglos wieder gebrochen werden dürfen?

Verpasste Chance

Die SPD scheint vor dem Dilemma zu stehen, entweder mit der CDU eine Grosse Koalition zu bilden und dabei zum „Handlanger“ einer Politik zu werden, die sie eigentlich nicht mitverantworten möchte. Oder aber in die Opposition zu gehen und sich damit dem Vorwurf staatspolitischer „Verantwortungslosigkeit“ auszusetzen. Weshalb spricht niemand mehr von jenem dritten Weg, der nach wie vor immer noch möglich wäre, nämlich einer Koalition der SPD mit den Linken und den Grünen, die im Bundestag zusammen über eine Mehrheit verfügen würde? Hatte sich die SPD in ihrem Wahlkampf nicht vor allem die soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben? Was läge näher als ein Zusammenschluss genau mit jenen zwei Parteien, mit denen es in dieser zentralen Frage zweifellos die grösste Übereinstimmung gibt? Offensichtlich, etwas anderes kann man daraus nicht schliessen, hat es die SPD mit ihren Forderungen doch nicht ganz so ernst gemeint. Wenn es drauf und dran kommt, scheint ihr die Erhaltung des kapitalistischen Machtsystems doch immer noch näher am Herzen zu liegen als der vielleicht nicht ganz einfache, aber umso dringender nötige und längst fällige Schritt hin zum Aufbau einer neuen, nicht mehr an materieller Profitmacherei und selbstzerstörerischer Wachstumsgläubigkeit, sondern an den Bedürfnissen der Menschen und der Natur orientierten Wirtschaft und Gesellschaft. Schade, wenn man schon so nahe daran wäre und die Chance dennoch nicht ergreift.  

Dienstag, 24. September 2013

Geschichtsträchtige Tessiner Volksabstimmung

Der 22. September 2013 müsste eigentlich in die Geschichte der Schweiz eingehen als der Tag, an dem zum ersten Mal eine Volksabstimmung stattfand über etwas, was es gar nicht gibt. Die ominöse Burka nämlich, über welche die Tessinerinnen und Tessiner an diesem Tag abgestimmt haben und die gemäss einer Mehrheit von 65,4 Prozent der Bevölkerung zukünftig im öffentlichen Raum nicht mehr getragen werden darf, wurde in Tat und Wahrheit auf dem Gebiet des gesamten Kantons noch gar nie gesichtet – ausser bei einer Frau, welche für die besagte Volksinitiative Unterschriften gesammelt und sich zu diesem Zweck als Burkaträgerin verkleidet hatte. Leben wir tatsächlich schon in einer so vollkommenen Welt, dass uns die Probleme in der realen Wirklichkeit ausgegangen sind und sich neue politische Themen nur noch in der Welt des Irrealen und der Fiktionen finden lassen? Oder ist es so, dass sich mit Dingen, die man nicht kennt, viel leichter Angst machen lässt als mit Dingen, die man kennt und die einem daher auch vertraut sind? Dass dem tatsächlich so sein könnte, scheint auf der Hand zu liegen, hat sich doch bei sämtlichen Abstimmungen der vergangenen Jahre, bei denen es um das Zusammenleben zwischen Menschen «einheimischer» und «ausländischer» Herkunft ging, bestätigt, dass der Grad der «Fremdenfeindlichkeit» just in dem Masse zunimmt, als «einheimische» und «ausländische» Menschen nicht etwa mehr, sondern, ganz im Gegenteil, weniger Kontakt zueinander haben. Drum, wer zukünftig Abstimmungen gewinnen und sich damit politisch profilieren möchte, sucht am besten weitere, neue Themen in der Welt des Irrealen und der Fiktion. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Volksinitiative zur Einführung einer Abschussgenehmigung für allfällig im Oberwallis oder im Berner Oberland auftauchende Dinosaurier? Oder mit der Einführung einer unbefristeten und bedingungslosen Verweigerung des schweizerischen Bürgerrechts für Einwanderer aus ausserirdischen Galaxien? Oder mit einem neuen Bundesgesetz über Sicherheitsmassnahmen bei einer Tsunami-Katastrophe?

Mittwoch, 18. September 2013

«Wahlen» in Deutschland

Als Uwe Steimle, Kabarettist und Sympathisant der «Linken», in der gestrigen ARD-Talksendung «Menschen bei Maischberger» seine Forderung nach einer Abschaffung aller Banken und insbesondere des Zinses, welcher das Grundübel aller wirtschaftlichen Fehlentwicklung sei, in die Runde wirft, erntet er von seinen Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilnehmern nichts als ein müdes Lächeln. So weit also haben uns 500 Jahre kapitalistischer Gehirnwäsche gebracht: dass wir uns etwas grundsätzlich anderes als den Kapitalismus schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen bzw. jene, die das tun, nur einen so kleinen Prozentsatz der Bevölkerung vertreten, dass die anderen, die «richtigen» und «realistischen» Politiker, sie nicht einmal ansatzweise ernstnehmen müssen. In solchen Momenten entlarvt sich die so genannte «Demokratie» des Kapitalismus als das, was sie tatsächlich ist: eine äusserst raffinierte Form von Diktatur. Denn im Wesentlichen, nämlich in der Akzeptanz des Kapitalismus als einziger möglicher Wirtschaftsordnung, unterscheiden sich die «grossen», wirklich tonangebenden Parteien von der CDU und CSU über die SPD bis zu den Grünen nicht grundsätzlich, sondern höchstens in einigen wenigen, letztlich unbedeutenden Nuancen. Ehrlicherweise müsste man sie daher als mehr oder weniger fundamentalistische Flügel einer einzigen Grosspartei bezeichnen, der «Grossen Partei des Kapitalismus». Und alle, die jetzt bei jeder Gelegenheit, auf das Hohe Lied westlicher «Freiheit» und «Demokratie» singend, das Schreckgespenst der SED-Einheitspartei in der ehemaligen DDR an die Wand malen, müssten sich sodann ziemlich gute Argumente zurechtlegen, um glaubwürdig erklären zu können, was denn die heutige westeuropäische Einheitsideologie des Kapitalismus so wesentlich von der damaligen osteuropäischen Einheitsideologie des Kommunismus zu unterscheiden vermag.

Donnerstag, 12. September 2013

Bitte ankreuzen

Lesen Sie bitte den unteren Teil dieses Textes erst am Schluss, da sonst der Überraschungseffekt verloren geht. Kreuzen Sie einfach jene Verhaltensweisen Ihres Kindes an, die «stark» oder «ziemlich» zutreffend sind: «Mein Kind ist zappelig und kann nicht stillsitzen. Es rennt viel herum und klettert überall hinauf. Es bewegt sich übermässig viel. Es lässt sich leicht ablenken. Es macht oft körperlich gefährliche Aktivitäten, ohne mögliche Folgen zu bedenken. Es handelt häufig, bevor es überlegt. Es reagiert schlecht auf Aufforderungen. Es will gerne im Mittelpunkt sein. Es streitet oft mit den Eltern. Es tut oft absichtlich Dinge, um andere zu ärgern. Es will nicht gehorchen. Es ist in seiner Stimmung unausgeglichen. Es bekommt Wutanfälle, wenn etwas nicht nach seinem Willen geht. Es platzt oft mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist. Es schiebt oft eigene Fehler anderen zu. Es kennt manchmal keine Grenzen. Es bringt angefangene Tätigkeiten nicht zu Ende.»
   Erste Zusatzbemerkung: Falls Sie mehr als fünf Verhaltensweisen angekreuzt haben, sollten Sie sich unverzüglich bei Ihrem Kinderarzt melden, es besteht nämlich grosse Gefahr, dass es sich bei Ihrem Kind um ein «hyperaktives», so genanntes «ADHS-Kind» handelt. Zweite Zusatzbemerkung: Die oben aufgelisteten Verhaltensweisen entstammen einem von Schweizer Ärzten verwendeten Fragebogen, der insgesamt 81 Beobachtungskriterien enthält und der Ermittlung von «ADHS-Kindern» dient. Dritte Zusatzbemerkung: Es gibt trotz intensiver Forschungen bis heute keine wissenschaftliche Erklärung dafür, was «ADHS» überhaupt ist. Vierte Zusatzbemerkung: Zahlen des schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic zeigen, das sich die in der Schweiz ausgelieferte Menge des gegen ADHS verschriebenen Ritalin-Wirkstoffes Methylphenidat zwischen 1999 und 2011 fast verzehnfacht hat. Fünfte Zusatzbemerkung: Ist Ihnen aufgefallen, wie viele der erwähnten Verhaltensweisen mit Gehorsam, Anpassung und Disziplin zu tun haben? Sechste Zusatzbemerkung: Wäre es, anstelle aufwendiger Einzelabklärungen, nicht viel zweckmässiger, gleich sämtlichen Kindern und Jugendlichen Ritalin zu verschreiben, könnten damit doch alle diese unerwünschten Verhaltensweisen gleich von Anfang an ausgetilgt werden und würde dies erst noch zu einer willkommenen Ankurbelung der Wirtschaft und Steigerung des Bruttosozialprodukts führen. Die siebte und letzte Zusatzbemerkung ist ein Zitat des leider viel zu stark in Vergessenheit geratenen Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi, der, wenn man zu seiner Zeit schon von «hyperaktiven» oder «ADHS-Kindern» gesprochen hätte, dazu Folgendes sagte: «Nur die Tätigkeit ist für die Kinder bildend und es gibt zu ihrer Entwicklung ganz und gar nichts anderes als Tätigkeit. Daher ist ihre Lebhaftigkeit, ihre Unruhe, ihr Treiben die weiseste und wohltätigste Einrichtung der Natur und das einzig mögliche Mittel, Kraft und Fertigkeit, Erkenntnis und Bildung in ihnen hervorzubringen.»

Mittwoch, 11. September 2013

An den Haaren herbeigezogen

Den Verteidigern der bisher exorbitanten Lohnunterschiede von bis zu 1:500 innerhalb der gleichen Firma scheint jedes Mittel recht zu sein, um zu verhindern, dass sich am Status Quo etwas ändert. Nun hat sich der Schweizerische Gewerbeverband - aufgrund einer von ihm selber in Auftrag gegebenen und bezahlten Studie der Universität St. Gallen! - sogar zur Behauptung verstiegen, eine Annahme der 1:12-Initiative würde dazu führen, dass jährlich der AHV 2,6 Milliarden Franken und dem Bund bis zu 1,6 Milliarden Franken Steuererträge entgehen würden. Eine schleierhafte und völlig an den Haaren herbeigezogene Behauptung, bleibt doch die jährliche Lohnsumme - und die damit verbundenen Steuern und Abgaben - insgesamt auch dann konstant, wenn die Tiefstlöhne - und das ist schliesslich das Ziel der 1:12-Initiative - in gleichem Masse angehoben werden, wie die Höchstlöhne gesenkt werden. Es ist ja das gute Recht jener, die sich gegen diese Initiative wehren, ihre Meinung kundzutun. Aber dann sollen sie wenigstens Argumente ins Feld führen, die stichhaltig sind und nicht auf blosser Angstmacherei beruhen.

Montag, 9. September 2013

Abstimmung mit Signalwirkung

Es geht am 22. September eben nicht, wie uns die Befürworter einer Liberalisierung der Öffnungszeiten für Tankstellenshops weismachen wollen, nur um Bratwürste. Wenn nämlich erst einmal die Tankstellenshops rund um die Uhr sämtliche Artikel verkaufen dürfen, wird die Konkurrenz nur allzu schnell danach rufen, möglichst gleich lange Spiesse zu bekommen. Bereits liegen im Nationalrat drei Vorstösse auf dem Tisch, die in aller Deutlichkeit zeigen, wohin die Reise gehen würde: Die Motion Lombardi (CVP) fordert längere Ladenöffnungszeiten in allen Kantonen, mit der Motion Abate (FDP) soll die Sonntagsarbeit flächendeckend eingeführt werden und die Motion Bertschy (GLP) verlangt schweizweit den 24-Stunden-Arbeitstag für Läden, die kleiner sind als 120 Quadratmeter. Deshalb hat die Abstimmung vom 22. September eine wichtige Signalwirkung, und zwar hoffentlich nicht in Richtung einer allgemeinen 24-Stunden-Arbeitsgesellschaft, denn, so eine unmittelbar betroffene Tankstellenshop-Verkäuferin: «Es ist wirklich zermürbend mit all diesen Versuchen, unsere Arbeitszeiten zu verlängern. Immer dieser Druck, immer mehr, immer länger, das ist fast nicht zum Aushalten. Hoffentlich merken das die Leute. Hoffentlich sagen sie Nein.»

Mittwoch, 4. September 2013

Scheinheilige Argumentation

Wie scheinheilig die Argumentation der US-Regierung ist, einen militärischen Schlag gegen Syrien in erster Linie damit zu begründen, dass mit dem Einsatz von Chemiewaffen eine "rote Linie" überschritten worden sei, zeigt ein kurzer Blick in ein anderes Kapitel der jüngsten Geschichte US-amerikanischer Aussenpolitik, den "Ersten Golfkrieg" von 1980 bis 1988. Damals wurden zwischen 50'000 und 100'000 Iraner durch irakische Giftgasangriffe getötet, was von den USA - welche den Irak militärisch unterstützten und einen grossen Teil der Chemiewaffen selber geliefert hatten - stillschweigend gebilligt wurde, und dies, obwohl Waffeninspektoren der UNO die irakische Armee mehrfach an den Pranger stellten.

Montag, 2. September 2013

Absurde Begründung für Militärschlag gegen Syrien

Selbst wenn, was immer noch nicht bewiesen ist, das Assad-Regime hinter der Giftgasattacke vom 21. August steckt, so ist die Idee, es sei die moralische Pflicht des Westens, Assad dafür mit einem Militärschlag zu "bestrafen", so ziemlich das Absurdeste, was man sich nur vorstellen kann. Bestraft würde mit einem solchen Militärschlag nämlich nicht Präsident Assad, dem gewiss die sichersten Bunker seines Landes zur Verfügung stehen, sondern einzig und allein die wehrlose syrische Zivilbevölkerung, die nach allem ihr bereits zugefügten Leiden bloss von noch grösserem Leiden betroffen wäre.

Sonntag, 1. September 2013

Chance nutzen

Nachdem US-Präsident Barack Obama bei seinem Entscheid über einen möglichen Militärschlag gegen Syrien den Kongress einbeziehen möchte, eröffnet sich die Chance, dass weltweit möglichst viele Menschen ihre Stimme gegen eine militärische Lösung dieses Konflikts erheben. Adressen für Friedenspetitionen sowie Briefe an die Regierungen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs  sowie an die Mitglieder des US-Kongresses findet man unter https://www.facebook.com/dreampeacesyria. Jede Stimme zählt!

Donnerstag, 29. August 2013

Syrien braucht endlich Frieden

Niemals können Probleme, die aus Gewalt entstanden sind, mit Gewalt gelöst werden. Das Einzige, was Syrien nach so unermesslich vielem Leiden nun endlich braucht, ist ein sofortiges Schweigen aller Waffen und eine Friedenskonferenz, an der sich, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen, sämtliche Konfliktparteien beteiligen. Genau das verlangt eine vom bekannten nicaraguanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal initiierte Friedensinitiative, die auf www.peaceinsyria.org unterzeichnet werden kann. JEDE STIMME ZÄHLT!

Schätze aus einem versunkenen Schiff

Tatsächlich, es ist kein Traum, heute Morgen bin ich Grossvater geworden. Elina heisst sie und soeben habe ich sie im Arm gehalten und in diesem Augenblick kam es mir vor, als würde die Zeit stillstehen. Man sagt immer, das Leben beginne mit der Geburt. Aber ist das nicht ein ganz grosser Irrtum? Vielleicht hat ein Mensch, wenn er geboren wird, die wichtigste Zeit seines Lebens schon hinter sich. Jene Zeit des Lebens nämlich, in der all jene Schätze angesammelt werden, die dann im Laufe des späteren, des "irdischen" Lebens in Form von Liebe, Humor, Schönheit, Lebensfreude, Abenteuerlust und Phantasie nach und nach sichtbar werden. Wie das Meer, auf dessen Grund ein versunkenes Schiff voller geheimnisvoller Schätze liegt. Eines Tages wird die Hülle des Schiffs auseinandergeborsten sein und eines ums andere seiner Geheimnisse nach und nach preisgeben. Der Augenblick, da das erste dieser Geheimnisse auf der Meeresoberfläche sichtbar wird, ist der Augenblick der Geburt.

Dienstag, 27. August 2013

Demokratie mit Füssen getreten

Noch streiten sich die Experten, ob die syrischen Regierungstruppen oder eine der gegen das Regime kämpfenden Rebellengruppen für den Giftgaseinsatz vom 21. August verantwortlich zu machen sind. Und die zuständige UN-Untersuchungskommission hat ihre Arbeit vor Ort noch nicht einmal richtig aufgenommen. Zahlreiche unabhängige Beobachter können sich als Schuldige am Giftgaseinsatz eher eine der Rebellengruppen vorstellen als den syrischen Präsidenten, so auch der deutsche Politologe Michael Lüders in einem Bericht der „Südostschweiz“ vom 27.8.: „Zwar ist Assad jede Grausamkeit und Skrupellosigkeit zuzutrauen, doch kann er wirklich so dumm sein, durch den Einsatz von Chemiewaffen vor seiner Haustür eine Militärintervention und damit den eigenen Sturz zu provozieren?“ Trotz alledem scheint es für die Regierungen der USA, Grossbritanniens, Frankreichs und der Türkei gar keine Frage mehr zu sein, ob, sondern nur noch, wann sie gegen Syrien militärisch losschlagen werden. Dabei scheint es ihnen gar nicht schnell genug gehen zu können. Um nicht in letzter Minute in einen Erklärungsnotstand zu geraten, behaupten sie vorsorglicherweise schon jetzt – ohne dafür Beweise vorlegen zu können –, dass das syrische Regime bereits alle Spuren des Giftgasangriffs verwischt habe. Und so werden aller Voraussicht nach schon in wenigen Tagen die militärischen Schläge der Westmächte beginnen – gegen ein Land, das nach rund 100‘000 Toten, einer vielfachen Anzahl Schwerverletzter und mehreren Millionen Flüchtlingen nichts so wenig braucht als noch mehr Waffen, noch mehr Krieg, noch mehr Zerstörung. Das scheint wenigstens die Bevölkerung jener Länder, deren Regierungen nächstens ihre Truppen losschicken, begriffen zu haben: In jedem dieser Länder spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen militärische Angriffe auf Syrien aus. Hohn der Geschichte: Ausgerechnet jene, welche ihre militärischen Pläne mit der Verteidigung demokratischer Grundwerte rechtfertigen und dem „Bösewicht“ Assad vorwerfen, er missachte den Willen seines Volkes, tun mit ihren eigenen Völkern genau dasselbe.

Sonntag, 25. August 2013

Willkommen auf meinem Blog

Willkommen auf meinem Blog, heute, am 25. August 2013. Hatte mich zwar, ehrlich gesagt, zunächst ein bisschen dagegen gewehrt. Ein Blog? Auch das noch? Und wozu denn? Bloss, weil es viele andere auch machen? Noch mehr Zeit am Computer verbringen, im Internet, virtuell statt reell? Aber da war mein Sohn Sven, 27, und hat nicht lockergelassen. Weisst du, sagte er, das ist wie eine Zeitung. Du schreibst einmal oder zweimal pro Woche einen Artikel, oder auch mehr, oder auch weniger. Und das Spannende ist: Du wirst sehen, mit was für Ideen du vielleicht ganz allein bleibst. Und mit was für Ideen du andere Menschen anzusprechen, vielleicht sogar zu begeistern vermagst. Du kannst andere Menschen inspirieren und dich von anderen Menschen inspirieren lassen. Du kannst Wellen auslösen und dich von Wellen mittragen lassen. Du kannst lernen, gewisse Dinge anders zu sehen, so wie du sie vorher noch nie gesehen hast. Und noch vieles, vieles mehr. Und irgendwann war ich dann überzeugt. Und so ist da, wo vorher die Skepsis war und die Fragezeichen, jetzt die Freude und die Neugierde und die Spannung, was da alles auf mich zukommen mag. Vielen Dank, Sven, dass du nicht zu schnell aufgegeben hast mit deinem „alten“ Vater, der halt die grössere Hälfte seines bisherigen Lebens in einer Zeit verbrachte, in der es noch keine Computer gab, kein Internet und erst recht keine Blogs…