Donnerstag, 19. Juni 2014

Wie lange kann das so noch weitergehen?

Gemäss dem von der Beratungsfirma Capgemini zusammen mit der Royal Bank of Canada jüngst präsentierten World Wealth Report leben gegenwärtig 330‘000 Dollarmillionäre in der Schweiz, das sind 47‘500 Personen oder fast 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Die gleiche Entwicklung weltweit: Im vergangenen Jahr sind die Vermögen der Reichsten insgesamt um fast 14 Prozent auf 52‘620 Milliarden Dollar angewachsen – das ist das Siebzigfache dessen, was das ärmste Siebtel der Weltbevölkerung insgesamt während eines ganzen Jahres verdient!
   Da Geld bekanntlich nicht auf den Bäumen wächst und auch nicht aus irgendwelchen Tiefseemuscheln gewonnen und schon gar nicht von fernen Sternen heruntergeholt werden kann, bedeutet die laufend wachsende Geldmenge in den Händen der Reichen nichts anderes, als dass dieses Geld dort, wo es vorher war, nun entweder gar nicht mehr vorhanden ist oder zumindest in weitaus geringerem Ausmass. Bezeichnenderweise werden denn auch als Hauptgründe für den enormen Reichtumszuwachs die «gute Entwicklung an den Börsen» und die «allgemein bessere Wirtschaftsentwicklung» genannt. Was im Klartext nichts anderes heisst, als dass durch Rationalisierung, billigere und schnellere Produktionsverfahren, aggressivere Vermarktung, günstigere Transportkosten, geringere Rohstoffpreise, Zusammenlegen von Firmen, Auslagerungen, Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe, Lohndrückerei, Erhöhung des Rentenalters, Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen und Entlassungen – alles auf Kosten der Lebensqualität und der Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung und der Natur – bei gleichzeitig kontinuierlichem Abbau öffentlicher Leistungen und laufender Erhöhung von Gebühren, Sozialabgaben, Wohnungsmieten, Krankenkassenprämien, Energiepreisen, usw. aus den auf den mittleren, unteren und untersten Stufen der gesellschaftlichen Machtpyramide Lebenden mit immer drastischeren Mitteln auch noch das Allerletzte herausgepresst wird, um die endlos wachsenden Macht- und Konsumbedürfnisse derer auf den oberen und obersten Rängen zu befriedigen.
   Wie lange kann das so noch weitergehen?

Mittwoch, 18. Juni 2014

Lieber Herr Schweizer, von wegen «Jugos» und so

Lieber Herr Schweizer. Soeben haben Sie sich wieder einmal fürchterlich aufgeregt über jenen «Jugo» in Ihrer Nachbarschaft, von dem Sie mir schon einige Male erzählten. Wieder hätten Sie ihn in seinem BMW herumfahren sehen, ihn, dessen Frau, wie Sie in Erfahrung gebracht hätten, gleichzeitig auf dem Rathaus Sozialhilfegeld bezöge und erst noch in mehreren Haushalten schwarz arbeite. Aber bei der Mentalität dieser Leute, so meinten Sie, wäre das ja auch kein Wunder. Die würden einem das Fell über die Ohren ziehen, wo sie nur könnten.
   Lieber Herr Schweizer. Ich verstehe Ihren Unmut durchaus. Aber gleichzeitig frage ich mich, ob solche Dinge, die uns da in die Augen stechen und uns oft so masslos ärgern, nicht auch ein klein wenig mit uns selber zu tun haben, mehr als uns wahrscheinlich lieb ist. Wie ich das meine? Nun gut, lassen Sie es mich erklären…
   Versuchen wir das Ganze mal aus einer etwas grösseren Distanz zu betrachten. Ja genau, das meine ich: Die Tatsache, dass die Schweiz das reichste Land der Welt ist. Und dass wir diesen Reichtum nicht so sehr unserer eigenen Arbeit und auch nicht den Schätzen unseres Bodens und unserer Natur verdanken, sondern unter anderem zum Beispiel dem so genannten Bankgeheimnis, das über Jahrzehnte dafür sorgte, dass Unsummen von Geldern, welche brutalste Diktatoren quer über alle Kontinente aus ihren in bitterster Armut lebenden Völkern herausgepresst hatten, in der Schweiz gehortet wurden, um hier wiederum als Voraussetzung zu dienen für eine Vielzahl weiterer blühender Geschäfte, von denen wir alle miteinander bis heute und weiterhin profitieren. Während einem halben Jahrtausend, seit der Zeit des Sklavenhandels und der kolonialistischen Einverleibung der südlichen Hemisphäre durch die Industrie- und Militärnationen des Nordens, zog die Schweiz unaufhörlichen Nutzen aus jenem zutiefst ausbeuterischen Preisverhältnis zwischen billigsten, aus dem Süden importierten Rohstoffen und teuersten, an die dortigen Eliten exportierten Luxusgütern, wodurch sich die Früchte des Südens nach und nach ins Gold des Nordens verwandelten und die am meisten mit guter Erde und gutem Klima gesegneten Teile der Welt schliesslich zu jenen Hungergebieten wurden, wo heute insgesamt eine Milliarde Menschen nicht genug zu essen haben, während wir uns den Wahnsinn leisten können, rund einen Drittel der gesamthaft gekauften Lebensmittel in den Müll zu werfen. Damit nicht genug. Ohne je in unserem eigenen Boden auch nur einen einzigen Tropfen Erdöl oder auch nur einen einzigen Diamanten gefunden zu haben, gehört die Schweiz dennoch bis heute zu den grössten Profiteuren im internationalen Rohstoffhandel. Selbst in der Herstellung und dem Verkaufen von Waffen und Rüstungsgütern, womit hierzulande Reichtum geschaffen wird durch Zerstörung und Elend in vielen anderen Ländern fern von uns, gehört die Schweiz, relativ zur eigenen Bevölkerungszahl, weiterhin zur Weltspitze. Und wenn es darum geht, als kleines Entgelt für dies alles wenigstens die Gelder für so genannte Entwicklungshilfe – die nur einen winzigen Bruchteil all jener zuvor geschaffenen Profite ausmacht – ein klein wenig zu erhöhen oder ein paar hundert zusätzliche Flüchtlinge aus fernen Kriegs- und Elendsgebieten aufzunehmen, dann will die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung absolut nichts davon wissen oder hat für jene unverbesserlichen «Gutmenschen», die sich für solcherlei einsetzen, höchstens ein müdes Lächeln übrig. 
    Gäbe es dereinst so etwas wie ein Jüngstes Gericht, dann glaube ich nicht, dass wir Schweizer dabei besonders gut wegkämen. Wahrscheinlich wären wir in der langen Menschenschlange, die vor diesem Gericht antreten müsste, ziemlich weit vorne mit dabei und unser «Jugo» vermutlich viel, viel weiter hinten und die Flüchtlinge aus Nigeria oder Somalia, die im einen oder anderen unserer Warenhäuser ein Paar Turnschuhe geklaut hatten, die wären wahrscheinlich so weit hinten, dass wir sie überhaupt nicht mehr sehen würden.
   Könnte es sein, dass uns der «Jugo» vor allem deshalb so ärgert, weil er ganz offensichtlich etwas zur Schau trägt und ans Tageslicht bringt, was in jedem Einzelnen von uns selber ebenso tief verborgen liegt? Ist es unser eigenes schlechtes Gewissen, das uns beunruhigt? Sind wir nicht alle kleinere und grössere Gauner in diesem weltweiten Riesengaunersystem genannt Kapitalismus, in dem es schon längst zur obersten, allgemeinen, selbstverständlichen Regel geworden ist, dass jeder den anderen übers Ohr haut und ihm das Fell über die Ohren zieht, wo er nur kann? Bloss dass die einen sich den Luxus leisten können, dies ganz «legal» zu tun, im Rahmen so genannt demokratisch erlassener Gesetze, während die anderen dazu gezwungen sind und ihnen schlicht und einfach gar nichts anderes übrig bleibt, als sich ihre – nach der grossen Party der Reichen am Boden liegen gebliebenen – Brosamen dann halt ausserhalb dieser Gesetze, mit allen möglichen «illegalen» Mitteln zusammen zu klauben.
   Lieber Herr Schweizer. Lassen Sie Ihrem Ärger weiterhin bloss freien Lauf. Aber vergessen Sie dabei nicht, auch von Zeit zu Zeit in Ihren eigenen Spiegel zu schauen. Und vielleicht sind wir dann eines Tages so weit, dass wir von anderen nur jenes Mass an Fairness erwarten und verlangen können, das wir ihnen mit unserem eigenen Beispiel selber auch tatsächlich vorleben. Schön wäre es.

Montag, 16. Juni 2014

Jetzt weinen schon die Bäume

Brummender Motorenlärm zersägt die hochsommerliche Hitze in kleine scharfkantige Stücke flimmernder Luft und dort wo vor zwei Wochen noch eine grüne Wiese war gähnt jetzt nur noch ein riesiges brennendes Loch aufgewühlter Erde und durcheinandergewirbelter Steine spätestens im nächsten Frühjahr wird der an dieser Stelle entstehende neue Schulhaustrakt fertiggebaut sein und eingeweiht werden und die Kinder werden ihre schönsten Lieder zum Besten geben und der Gemeindepräsident und die Schulpräsidentin werden sich endlich gegenseitig zuprosten können denn viel zu lange schon hat man auf sie warten müssen die dringend benötigten Spezialzimmer und Therapieräume für die von Jahr zu Jahr grösser werdende Zahl von Kindern an denen auch die besten und geduldigsten Lehrerinnen und Lehrer immer öfters verzweifeln schon gut meint ein schräg gegenüber der Baustelle wohnender Nachbar die werden schon wissen was sie tun aber die Bäume hätte man doch wenigstens stehen lassen können zumindest den ganz grossen uralten mit seinem gerade im Hochsommer so wohltuend kühlenden Blätterdach und seinem reichen Astwerk an dem schon mal das eine oder andere besonders mutige Kind in schwindelnde Höhe hochgeklettert sei und auch das alte Mauerwerk und den halb verfallenen Geräteschuppen aus dessen Ziegeln und Brettern in den Händen der Kinder schon so manches kleines Kunstwerk entsprungen sei doch viel zu spät längst ist das alles nur noch Erinnerung zusammengekarrt von Baggern und aufgetürmt zu einem riesigen Haufen mit Stacheldrahtzaun von den Kindern abgesperrt die jetzt vor und nach dem Unterricht und während den Pausen nur noch auf einem kleinen Stück Rasen schattenlos in sengender Hitze Fussball spielen oder angelehnt an eine mannshohe Bretterwand mit gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen ihre Pausenbrote verzehren im nächsten Frühjahr wird alles ganz anders sein und auch das letzte Kind auf der immer länger gewordenen Warteliste wird seine Therapie bekommen und auch für die Elterngespräche wird dann ein ausschliesslich zu diesem Zweck erstelltes Zimmer zur Verfügung stehen das Kind winzig klein in der grossen Runde zwischen dem Schulpsychologen der Schulleiterin seinem Klassenlehrer der Logopädin der Ergotherapeutin Kästchen auf langen Listen Fragen und Antworten Kreuzchen hier Kreuzchen dort und der ratlose Blick der Mutter und eine kaum sichtbare Träne im Gesicht des Kindes noch ist der Stamm des uralten Baumes tief unter dem Trümmerhaufen in der gnadenlosen Mittagshitze nicht gänzlich tot das Lachen der Kinder in seinem Geäst immer noch schöne Erinnerung und auch die Tränen des Baumes sind beinahe unsichtbar winzig glänzende Tropfen aus Harz versickernd zwischen dem Schutt und den Steinen kleiner scharfkantiger Stücke flimmernder Luft im brummenden Motorenlärm hochsommerlicher Hitze. 
    (P.S. Um herauszufinden, ob es sich bei einem «verhaltensauffälligen» Kind tatsächlich um ein so genanntes ADHS-Kind handelt – also um ein Kind mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörung, auch Hyperkinetische Störung genannt –, wird von Ostschweizer Kinderärzten ein Fragebogen verwendet, bei dem von den Eltern anzukreuzen ist, ob unter anderem folgende Aussagen über das jeweilige Kind zutreffend sind oder nicht: «Mein Kind ist zappelig und kann nicht stillsitzen», «Es rennt viel herum und klettert überall hinauf», «Es bewegt sich übermässig viel», «Es macht oft körperlich gefährliche Aktivitäten, ohne mögliche Folgen zu bedenken», «Es handelt häufig, bevor es überlegt», «Es kennt manchmal keine Grenzen».)

Samstag, 14. Juni 2014

Lernen ohne Freude ist keinen Heller wert

Gemäss einer bisher unveröffentlichten Studie aus der Stadt Zürich, über deren Ergebnisse im heutigen «Tages-Anzeiger» berichtet wird, ist mindestens jede zehnte Lehrkraft stark Burn-out-gefährdet, Lehrkräfte fühlen sich in ihrem Berufsalltag sogar stärker belastet als Polizisten. Gleichzeitig nimmt die Anzahl gestresster und therapiebedürftiger Schulkinder laufend zu, nicht nur im Kanton Zürich, sondern schweizweit. Dies ist wohl kein Zufall, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass an unserer Schule grundsätzlich etwas nicht stimmt. Auf der einen Seite die Lehrkräfte, die gezwungen sind, Kindern und Jugendlichen von früh bis spät eine wachsende Unmenge an kompliziertem, theoretischem und grösstenteils überflüssigem Schulwissen beizubringen. Auf der anderen Seite die Kinder und Jugendlichen, die so viel anderes so viel lieber täten und sich daher mit allen möglichen und unmöglichen Formen von «Lernverweigerung» und «Disziplinstörungen» gegen die Bemühungen ihrer Lehrkräfte zu wehren versuchen. Und so sind sie absurderweise dazu verdammt, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen...
   Therapieren muss man nicht die Kinder. Therapieren muss man auch nicht die Lehrkräfte. Therapieren müsste man die Schule als Ganzes. Indem man sie zu einem Ort der Lern- und Lebensfreude werden lässt, wo Lernen wieder so viel Spass macht und zugleich so erfolgreich ist, wie wir das alle aus dem frühkindlichen Lernen der ersten Lebensjahre kennen. Denn, wie schon Johann Heinrich Pestalozzi sagte: «Lernen ohne Freude ist keinen Heller wert.»