Dienstag, 17. Dezember 2013

So schnell ändern sich die Zeiten

Kürzlich gab – wie das St. Galler Tagblatt am 11. Dezember 2013 berichtete – das Bundesgericht einem Entscheid des St. Galler Migrationsamtes Recht, wonach einer 51jährigen Frau und ihrem 46jährigen Partner, beide italienische Staatsangehörige, ab sofort die Niederlassungsbewilligung entzogen wird und sie deshalb die Schweiz verlassen müssen, und zwar ungeachtet des Umstands, dass beide in der Schweiz geboren wurden, nie irgendwo anders gelebt haben und auch ihre mittlerweile volljährige, sich noch in der Ausbildung befindliche Tochter hierzulande wohnhaft ist. Als «Vergehen», welche zu diesem Entscheid geführt haben, werden folgende genannt: Drogensucht, mehrere Straftaten im Zusammenhang mit Drogengeschäften, Diebstahl, Hehlerei, Körperverletzung, offene Verlustscheine, hohe Schulden, Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und «fehlende Integration». Zugegeben, eine beachtliche Liste von «Verfehlungen» aller Art. Aber befinden wir uns da – vielleicht abgesehen vom Tatbestand der Körperverletzung – nicht schon in einem sehr gefährlichen und aller möglichen Willkür unterworfenen Graubereich? Sind Arbeitslosigkeit, fehlende Integration, hohe Schulden und die eigene Drogensucht tatsächlich so schwer wiegende Gründe, die es rechtfertigen, Menschen, die ihr ganzes bisheriges Leben in unserem Lande verbracht haben, im Alter von 50 Jahren auf Knall und Fall in ein ihnen gänzlich fremd gewordenes Land «zurückzuschicken», wo ihre bereits genug schlimme Lebenssituation höchstwahrscheinlich noch viel schlimmer sein wird, als sie es schon ist? Hätte ein Einwanderungsland wie die Schweiz, die ihren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern so viel zu verdanken hat, nicht auch eine gewisse moralische Pflicht, sich um diese Menschen auch dann noch sie zu kümmern, wenn sie uns gewisse «Schwierigkeiten» bereiten, wenn es ihnen weniger gut geht und sie auf soziale Sicherheit und Unterstützung gerade umso dringender angewiesen wären?
   Im Vorfeld der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative sprach man fast nur von ausländischen Mördern und Vergewaltigern, die hier bei uns in der Schweiz nichts zu suchen hätten. Im Fokus stand dabei jenes Zerrbild eines ausländischen Messerstechers, den begreiflicherweise niemand bei sich zu Hause haben möchte, was dann sicher auch wesentlich dazu beitrug, dass die Ausschaffungsinitiative trotz völker- und menschenrechtlicher Bedenken von einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung angenommen wurde. Jetzt aber geht es bereits nicht mehr bloss um Mörder und Vergewaltiger, sondern schon um Menschen, die ihr Leben mit Drogen verpfuscht, über zu lange Zeit nicht gearbeitet und sich verschuldet haben. So schnell also ändern sich die Zeiten. Wird man nun schon bald auch übergewichtige oder übermässig Zigaretten rauchende Ausländerinnen und Ausländer ausschaffen mit dem Argument, sie würden unser Gesundheitssystem finanziell zu sehr belasten? Oder all jene ausländischen Familien, die mehr als drei Kinder auf die Welt stellen, mit der Begründung, sie verursachten viel zu hohe Ausgaben im Bildungsbereich? Oder gar jene ausländischen Maurer oder Tunnelbauer, die infolge eines schweren Arbeitsunfalls eine IV-Rente beziehen und damit unsere Staatskasse übermässig belasten?
    «Mit der Propaganda für die Ausschaffungsinitiative werden falsche Signale ausgesendet», warnte Rechtsanwalt Marc Spescha im August 2010. «Die Ausländerdebatte wird damit einmal mehr und diesmal erst recht und ausschliesslich zur Debatte über Ausländerkriminalität. Damit verfestigt sich ein Diskurs, der auf Ausgrenzung ausgerichtet ist. Das interkulturelle Klima wird vergiftet, wenn während Monaten das stereotype Bild vom Ausländer als Störenfried gezeichnet wird. Beteuerungen wie jene, dass man ja nicht alle Ausländer meine, sind eine billige Ausflucht. Sie ändern nichts daran, dass der Ausländer pauschal als Straftäter in den Fokus rückt.» Wer hätte damals gedacht, dass Spescha so bald schon Recht bekommen sollte!

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