Montag, 9. Dezember 2013

Pisa 2013, 2016, 2019 ... 2040 ... und dann?

Wieder einmal ist es soweit, wie alle drei Jahre: Hier die Jubelschreie der «Aufsteiger», dort der Schock und das Entsetzen bei all denen, die es wieder einmal nicht geschafft haben oder sogar noch weiter in den Keller gerutscht sind. Dieses Erdbeben, das durch die gesamte globale Bildungspolitik donnert jedes Mal dann, wenn die aktuellen Ergebnisse der länderübergreifenden Pisa-Studie veröffentlicht werden, mit denen angeblich «objektiv» festgestellt wird, wie «effizient» die Schulsysteme der – insgesamt 74 – miteinander verglichenen Länder sind. Obwohl es doch, bei Lichte besehen, ganz logisch ist, dass bei jeder Art von Prüfung, in der A mit B und C verglichen werden – selbst wenn die Prüflinge nahezu identisch wären und sogar wenn sie exakt den gleichen IQ hätten –, dennoch stets gewisse noch knapp messbare Unterschiede festzustellen sind und sich demzufolge auch unterschiedliche Rangplätze errechnen lassen – ebenso wie bei einem Skirennen, bei dem zwischen den einzelnen gemessenen Zeiten bloss Hundertstel- oder gar Tausendstelsekunden liegen und man dennoch ganz selbstverständlich von «Siegern» und «Verlierern» spricht. Doch das Vergleichen und Messen von allem Möglichen und Unmöglichen ist in unseren Köpfen offensichtlich schon so sehr zum allgemeingültigen Massstab von «Qualität» und Bewertung geworden, dass wir uns schon gar nicht mehr darüber Gedanken machen, was womit und weshalb und wozu da überhaupt verglichen wird.
   Das Absurde liegt ja nicht nur darin, dass es bei alledem längst nicht mehr darum geht, was an Nützlichem und Sinnvollem, für das Leben Brauchbarem in den Schulen überhaupt gelernt wird, sondern bloss darum, um wie viel schneller oder langsamer die einen das tun im Vergleich zu den anderen, so absurd und sinnlos das, was sie tun, auch sein mag. Das weitaus noch viel Absurdere – und eigentlich Fatale – liegt in den Auswirkungen, die das Ganze hat. Denn diese sind, im Gegensatz zur Absurdität des Wettlaufs an sich, durchaus sehr konkret und real. Als zum Beispiel bei der Pisastudie 2010 die Schaffhauser Schülerinnen und Schüler in Mathematik deutlich besser abschnitten als ihre Zürcher Altersgenossinnen und Altersgenossen, ging im Kanton Zürich sogleich eine hitzige Diskussion los, was für Massnahmen nun wohl ergriffen werden müssten, um drei Jahre später, bei der nächsten Pisastudie, ein ähnliches Debakel zu vermeiden. Die nächst liegende Idee: Der Mathematikunterricht müsse im Kanton Zürich mehr Wochenlektionen bekommen als bisher. Abzwacken könnte man diese Lektionen ja zum Beispiel bei Musik, Zeichnen, Handarbeit oder Sport, da diese Fachbereiche in der Pisastudie ohnehin nicht gemessen würden. Noch absurder wird es beim Vergleichen der Länderergebnisse untereinander. Wenn Länder wie China, Japan und Südkorea in sämtlichen gemessenen Lernbereichen an der Spitze liegen, müssten logischerweise alle übrigen Länder der Welt, wollen sie ihre Schulsysteme verbessern – und wer wollte das schon nicht! –, möglichst grosse Anstrengungen unternehmen, um sich diesen Spitzenplätzen zu nähern oder aber sie sogar den Spitzenreitern wegzuschnappen. Dies würde bedeuten, dass man die Kinder und Jugendlichen auch in all jenen Ländern, wo dies heute noch nicht der Fall ist, einem ähnlichen Drill und einer ähnlichen Tag-und-Nacht-Non-Stop-Beschulung möglichst schon ab der Geburt unterwerfen müsste, wie dies in den Ländern mit den besten Pisa-Ergebnissen an der Tagesordnung ist. Aber selbst das würde ja grundsätzlich nichts ändern. Denn die Chinesen, Japaner und Südkoreaner würden in dieser Zeit nicht schlafen und sich ganz bestimmt etwas noch Raffinierteres einfallen lassen, um ihre Spitzenposition um jeden Preis zu verteidigen. Und selbst wenn sämtliche Kinder und Jugendlichen in allen Ländern der Welt 24 Stunden pro Tag zur Schule gingen und gar nichts anderes mehr lernen würden als das, was in den Pisa-Prüfungen getestet wird, würde dennoch eine zum Beispiel im Jahre 2040 durchgeführte Pisastudie erneut zu einer Rangliste von Platz 1 bis Platz 74 führen. Und dann?

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