Montag, 16. Juni 2014

Jetzt weinen schon die Bäume

Brummender Motorenlärm zersägt die hochsommerliche Hitze in kleine scharfkantige Stücke flimmernder Luft und dort wo vor zwei Wochen noch eine grüne Wiese war gähnt jetzt nur noch ein riesiges brennendes Loch aufgewühlter Erde und durcheinandergewirbelter Steine spätestens im nächsten Frühjahr wird der an dieser Stelle entstehende neue Schulhaustrakt fertiggebaut sein und eingeweiht werden und die Kinder werden ihre schönsten Lieder zum Besten geben und der Gemeindepräsident und die Schulpräsidentin werden sich endlich gegenseitig zuprosten können denn viel zu lange schon hat man auf sie warten müssen die dringend benötigten Spezialzimmer und Therapieräume für die von Jahr zu Jahr grösser werdende Zahl von Kindern an denen auch die besten und geduldigsten Lehrerinnen und Lehrer immer öfters verzweifeln schon gut meint ein schräg gegenüber der Baustelle wohnender Nachbar die werden schon wissen was sie tun aber die Bäume hätte man doch wenigstens stehen lassen können zumindest den ganz grossen uralten mit seinem gerade im Hochsommer so wohltuend kühlenden Blätterdach und seinem reichen Astwerk an dem schon mal das eine oder andere besonders mutige Kind in schwindelnde Höhe hochgeklettert sei und auch das alte Mauerwerk und den halb verfallenen Geräteschuppen aus dessen Ziegeln und Brettern in den Händen der Kinder schon so manches kleines Kunstwerk entsprungen sei doch viel zu spät längst ist das alles nur noch Erinnerung zusammengekarrt von Baggern und aufgetürmt zu einem riesigen Haufen mit Stacheldrahtzaun von den Kindern abgesperrt die jetzt vor und nach dem Unterricht und während den Pausen nur noch auf einem kleinen Stück Rasen schattenlos in sengender Hitze Fussball spielen oder angelehnt an eine mannshohe Bretterwand mit gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen ihre Pausenbrote verzehren im nächsten Frühjahr wird alles ganz anders sein und auch das letzte Kind auf der immer länger gewordenen Warteliste wird seine Therapie bekommen und auch für die Elterngespräche wird dann ein ausschliesslich zu diesem Zweck erstelltes Zimmer zur Verfügung stehen das Kind winzig klein in der grossen Runde zwischen dem Schulpsychologen der Schulleiterin seinem Klassenlehrer der Logopädin der Ergotherapeutin Kästchen auf langen Listen Fragen und Antworten Kreuzchen hier Kreuzchen dort und der ratlose Blick der Mutter und eine kaum sichtbare Träne im Gesicht des Kindes noch ist der Stamm des uralten Baumes tief unter dem Trümmerhaufen in der gnadenlosen Mittagshitze nicht gänzlich tot das Lachen der Kinder in seinem Geäst immer noch schöne Erinnerung und auch die Tränen des Baumes sind beinahe unsichtbar winzig glänzende Tropfen aus Harz versickernd zwischen dem Schutt und den Steinen kleiner scharfkantiger Stücke flimmernder Luft im brummenden Motorenlärm hochsommerlicher Hitze. 
    (P.S. Um herauszufinden, ob es sich bei einem «verhaltensauffälligen» Kind tatsächlich um ein so genanntes ADHS-Kind handelt – also um ein Kind mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörung, auch Hyperkinetische Störung genannt –, wird von Ostschweizer Kinderärzten ein Fragebogen verwendet, bei dem von den Eltern anzukreuzen ist, ob unter anderem folgende Aussagen über das jeweilige Kind zutreffend sind oder nicht: «Mein Kind ist zappelig und kann nicht stillsitzen», «Es rennt viel herum und klettert überall hinauf», «Es bewegt sich übermässig viel», «Es macht oft körperlich gefährliche Aktivitäten, ohne mögliche Folgen zu bedenken», «Es handelt häufig, bevor es überlegt», «Es kennt manchmal keine Grenzen».)

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